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Deutschland und Europa bei Erzeugungskosten für Grünstrom näher an USA als oft angenommen

19.09.2023  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Hans Böckler Stiftung.

Bei den Erzeugungskosten für Strom aus erneuerbaren Quellen liegen Europa und die USA näher beieinander als in der öffentlichen Debatte häufig angenommen. Das gilt besonders für europäische Länder mit sehr guten Bedingungen für Wind- und Sonnenenergie, aber auch für Deutschland.

Grund dafür ist einerseits, dass die natürlichen Voraussetzungen in der Bundesrepublik bei Onshore-Windkraft und Photovoltaik zwar schlechter sind als in den USA, für Windparks auf See aber tendenziell besser. Zweitens fallen die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen der grünen Energiebranche in Westeuropa und insbesondere in Deutschland strukturell günstiger als in den USA aus, was den US-Vorteil reduziert. Das ergibt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Die so genannten Gestehungskosten pro Megawattstunde Strom lagen 2021 in Deutschland beispielsweise bei Onshore-Windkraft je nach Standort in einem Korridor zwischen 37 und 66 Euro. In den USA sind es 29 bis 51 Euro. Für Offshore-Wind reichen die Gestehungskosten in Deutschland von 63 bis 102 Euro, in den USA von 69 bis 112 Euro.

Deutschland sei bei der Wirtschaftlichkeit einer nachhaltigen Stromerzeugung den USA also keineswegs stark unterlegen und zur Deindustrialisierung verurteilt, lautet das Fazit des IMK-Experten Dr. Tom Bauermann – schon gar nicht, wenn der europäische Energieverbund weiter ausgebaut werde. Denn wind- und/oder sonnenreiche Länder wie Dänemark oder Spanien haben laut der Untersuchung bei den Gestehungskosten kaum Nachteile im Vergleich zu Amerika.

Die massive Unterstützung von grünem Strom durch amerikanische Programme wie den Inflation Reduction Act (IRA) bietet Anlass, die Transformation der Industrie auch diesseits des Atlantiks zu forcieren, so Bauermann. Das geht etwa durch einen Brücken- bzw. Transformationsstrompreis. Nach aktuellen Abschätzungen zu den amerikanischen Programmen dürften in den 2030er Jahren die Effekte des IRA auslaufen und sich die – durch technischen Fortschritt insgesamt fallenden – Gestehungskosten auf beiden Seiten des Atlantiks wieder stärker angleichen, erwartet der Forscher. Daher sei auch das Risiko gering, dass aus einem deutschen Brückenstrompreis eine Dauersubvention für Unternehmen werde.

Als interessant auch für Europa stuft der Experte die in den US-Programmen enthaltene Kopplung zwischen Fördersätzen für Unternehmen und sozialen Anforderungen ein, etwa zu besserer Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Neben kurzfristigen Maßnahmen sind vor allem langfristige Programme für einen höheren Anteil an Erneuerbaren Energien und der Ausbau der Stromnetze von hoher Priorität.

Gestehungskosten für Grünstrom hängen nicht nur vom natürlichen Potenzial ab

In seiner Studie kalkuliert Bauermann auf Basis eines breiten Kranzes von Forschungsdaten die Gestehungskosten für Strom aus Windkraft an Land und auf See sowie aus Freiflächen-Photovoltaikanlagen. Das tut er für Deutschland, die USA und für einige europäische Beispielländer mit größerem natürlichen Potenzial als Deutschland: u.a. Dänemark beim Wind, Spanien und Südfrankreich bei der Photovoltaik. Die Gestehungskosten sind eine in der Energiewirtschaft übliche Größe zur Projektkalkulation. Sie umfassen sowohl die Kosten für die Errichtung als auch den langfristigen Betrieb der Erzeugungsanlagen und der ergänzenden Infrastruktur. Diese werden rechnerisch umgelegt auf eine erzeugte Megawattstunde Strom. Wichtige Faktoren für die Gestehungskosten sind das natürliche Angebot an Wind und Sonnenschein, aber auch die Finanzierungsbedingungen, weil diese die Ausgangskosten der Grünstromproduktion wesentlich beeinflussen.

Der Forscher schätzt zunächst die Gestehungskosten im Jahr 2021. In einem zweiten Schritt nimmt er eine Projektion der realen Kosten in den Jahren 2030 und 2040 vor auf Basis von Daten zu technischem Fortschritt und Effizienzgewinnen, die sich in der Vergangenheit bei der Erzeugung von erneuerbaren Energien ergeben haben. Dabei wird auch berücksichtigt, dass die Zinsen seit 2021 deutlich gestiegen sind, was aufgrund der hohen Kapitalkosten bei der Erzeugung von Strom aus Wind- und PV-Anlagen zu höheren Gestehungskosten führt. Zudem kalkuliert er für die USA zwei Varianten, von denen eine zeigt, wie sich der IRA und weitere US-Subventionsprogramme auswirken. Diese Effekte sind dabei im Jahr 2030 sehr groß und drücken die Gestehungskosten je nach Energieform um 34 bis 55 Prozent. Bis 2040 nimmt dieser Effekt wieder deutlich ab.

Aus den Daten leitet der Wissenschaftler fünf zentrale Ergebnisse ab:

Erstens sind neben dem Angebot an Wind und Sonne auch die Finanzierungsbedingungen für die Stromgestehungskosten entscheidend. West- und Nordeuropa, insbesondere Deutschland, hatten in den letzten Jahren sehr günstige Finanzierungsbedingungen, was wiederum die „grünen“ Stromgestehungskosten gedrückt hat und die teils besseren natürlichen Bedingungen in den USA zum Teil kompensiert. Forscher*innen sehen dafür verschiedene Ursachen. Ein wichtiger Grund sind staatliche Unterstützungsmaßnahmen. So mindern stabile, gesetzlich geregelte Vergütungssysteme Risiken für Investoren in Erneuerbare Energien und damit auch Zinsen. Eine weitere wichtige Rolle nimmt in Deutschland die Förderbank KfW mithilfe zinsgünstiger Kreditprogramme oder als Investor für risikoreiche Investitionen ein. Der Vorteil der Europäer wird sich voraussichtlich nicht so schnell reduzieren, argumentiert Bauermann: „Es ist nach aktuellem Stand nicht ersichtlich, dass der IRA dauerhaft zu einer Angleichung der Finanzierungskonditionen führen wird.“

Zweitens kann Europa in puncto Finanzierungskonditionen aktiv werden. Maßnahmen wie Kreditprogramme können dazu führen, dass die Fremdkapitalzinsen sinken und so mehr Projekte realisiert werden können. Dies kann ein entscheidender Standortvorteil für Europa werden.

Drittens kommen die untersuchten europäischen Standorte mit guten natürlichen Voraussetzungen sehr nahe an die US-amerikanischen Gestehungskosten heran bzw. produzieren bei der Offshore-Windenergie sogar günstiger. Das liegt unter anderem an den geringeren Wassertiefen und den konstanten, hohen Windgeschwindigkeiten in Nord- und Ostsee, die die Errichtung und den Betrieb von Windparks auf See günstiger machen. Von diesem Faktor profitiert auch Deutschland.

Viertens haben US-Subventionsprogramme, allen voran der IRA, in den kommenden Jahren einen erheblichen Einfluss, der allerdings nach den aktuellen Abschätzungen zeitlich begrenzt ist. Wenn sich Unternehmen in den USA an die in den Förderprogrammen vorgesehenen Sozialklauseln halten, können sie ihre Stromgestehungskosten für Onshore-Windenergie, Offshore-Windenergie und Freiflächen-Photovoltaik in den 2020er und frühen 2030er Jahren um rund ein Drittel bis gut die Hälfte drücken. Damit ließe sich ein gesamtwirtschaftlicher Wettbewerbsvorteil schaffen, zumindest, wenn die Steuervorteile für Energieerzeuger auch preisdämpfend genutzt werden – also an deren Kunden weitergegeben werden. Voraussichtlich ab den 2030er Jahren werden die Stromgestehungskosten in den USA wieder steigen, wodurch die Differenzen zu Europa wieder sinken sollten und die Wettbewerbsvorteile (teilweise) wieder revidiert werden, so Bauermann.

Fünftens gehe es also zunächst darum, den relativ kurzen Zeitraum zu überbrücken, in dem die US-Subventionen einen starken Anreiz für Unternehmen setzen, in den USA statt in Europa zu investieren. Dazu kann etwa ein Brücken- oder Transformationsstrompreis dienen, dessen Höhe sich wie in den USA ebenfalls an Klauseln im öffentlichen Interesse koppeln ließe.

Um die Stromgestehungskosten in Deutschland und Europa möglichst schnell und dauerhaft zu senken, sollten parallel Maßnahmen ergriffen werden, um den Ausbau erneuerbarer Energien und ihrer Netze voranzubringen, empfiehlt IMK-Experte Bauermann. Beispielsweise durch direkte öffentliche Investitionen und/oder durch eine Flankierung mithilfe günstiger Finanzierungsbedingungen. Auch sollte eine aktive Industriepolitik genutzt werden, vor allem in den strategisch wichtigen und international wettbewerbsfähigen Bereichen zur Versorgung mit Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien.

Bild: pixabay (Pexels, Pexels Lizenz)

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