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Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Was fällt unter sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz? (Teil 2)

16.07.2019  — Jasmin Dahler.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Sexuelle Belästigung kommt in Betrieben täglich vor. Handlungen werden als Witz und Flirts verharmlost und drängen Opfer damit in die Täterrolle. Dabei regelt das AGG, welche Handlungen als sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz gewertet werden.

Sexuelle Belästigung kann verschiedenste Gestalt annehmen. Doch wo fängt sexuelle Belästigung eigentlich an? Können Sie mit Sicherheit sagen, wann es sich in einer Situation um sexuelle Belästigung handelt?

Sie lesen gleich sechs kurze, fiktive Szenarien. Überlegen Sie, ob es sich dabei um sexuelle Belästigung handelt oder nicht:

  1. Frau B. trägt einen knielangen Rock. Als sie im Flur an einem Kollegen vorbei geht, mustert er diese und sagt: „Hey Schätzchen, in diesem Rock hast du einen richtigen Knackarsch. Den solltest du öfters tragen.“ Frau B. ist irritiert von der Situation und geht schweigend weiter. Den restlichen Tag fühlt sie sich mit ihrem Outfit unwohl.
  2. Herr K. arbeitet seit zwei Wochen in einer neuen Abteilung und teilt sich das Büro mit Frau S. und Frau H. Er ist für die grafische Umsetzung zuständig und zeigt seinen Kolleginnen daher öfter etwas auf seinem Monitor. Frau S. beginnt in der zweiten Woche, immer ihre Hand auf seine Schulter zu legen, wenn er mit seinen Kolleginnen mögliche Änderungen bespricht. Hatte sich Herr K. beim ersten Mal nichts weiter dabei gedacht, wird ihm die aufgezwungene Berührung unangenehm und er versucht, der Hand auszuweichen, was Frau S. mit einem Lächeln quittiert. Herr K. denkt, dass Frau S. die Handlung nicht wiederholen wird und ist daher unvorbereitet als Frau S. bei der nächsten Besprechung ihre Hand auf seine Schulter legt und ihre Finger regelrecht in seine Schulter bohrt.
  3. Frau R. und Herr L. arbeiten seit drei Jahren zusammen und gehen manchmal nach der Arbeit zusammen ins Kino. Morgens begrüßt Frau R. Herrn L. mit einem „Guten Morgen, Hase“, woraufhin Herr L. „Morgen, Mausi“ erwidert
  4. In der Werkstatt der Firma C. arbeitet ein rein männliches Team. Das Team hat sich einen Nacktkalender mit Frauen aufgehängt. Der Kalender ist nicht für Kund*innen oder für die Kolleg*innen aus dem Büro sichtbar.
  5. Frau E. trägt recht viele Piercings. Da sie nicht mit Kunden arbeitet, kann sie diese auch auf der Arbeit tragen. Beim Mittagsessen in der Kantine fragt Frau J. Frau E.: „Wie hält Ihr Mann das eigentlich aus? Mit Sicherheit haben Sie da unten genauso viele Piercings wie im Gesicht.“ Frau J. fängt daraufhin an zu lachen. Die anderen Kollegen stimmen mit ein. Frau E. ist die Situation unangenehm und lässt ihr restliches Essen stehen.
  6. Frau Z. bringt Herrn P. einige Unterlagen. Als Frau Z. die Unterlagen auf dem Schreibtisch legt, schaut Herr P. Frau Z. offensichtlich in den Ausschnitt und grinst sie schelmisch an. Frau Z. ist verärgert und bittet darum, dass Herr P. dies künftig unterlässt.

Bei vier der beschriebenen Fälle handelt es sich per Gesetz um sexuelle Belästigung. Die Definition, was unter sexuelle Belästigung fällt, ist nämlich ziemlich eindeutig. Bei einer sexuellen Belästigung handelt es sich nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) um eine unerwünschte Verhaltensweise, die sexualisiert und geschlechtsbezogen ist:

„Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“

Dabei ist es unerheblich, ob die Person beabsichtigt hatte, die Würde des Belästigten oder der Belästigten zu verletzen. Es geht lediglich um die Auswirkungen auf die belästigte Person. Sexuelle Belästigung kann verbale, non-verbale und physische Formen annehmen. Sexuell zweideutige Äußerungen und anzügliche Blicke zählen somit ebenso zur sexuellen Belästigung wie unerwünschte Berührungen.

Jede Form der sexuellen Belästigung ist am Arbeitsplatz verboten. Zum Beispiel ist es im Alltag nicht verboten (aber moralisch fragwürdig), einer Frau offensichtlich auf die Brüste zu schauen, am Arbeitsplatz schon. Die verschärften Gesetze sollen Beschäftigte besonders schützen. Am Arbeitsplatz hat eine belästigte Person keine Möglichkeit, der belästigenden Person aus dem Weg zu gehen. Der Arbeitsplatz muss jedoch für alle Beschäftigten ein sicheres Umfeld bieten. Daher gehören Dienstreisen, der Arbeitsweg, Firmenfeiern, Betriebsausflüge sowie jegliche Kommunikation (SMS, E-Mail und Anrufe) ebenso zu diesem Schutzraum, den Arbeitgeber*innen bieten müssen.

Beispiel aus der Rechtsprechung:

Einem Maschinenführer wird aufgrund sexueller Belästigung einer Auszubildenden fristlos gekündigt. Er schrieb ihr mehrere SMS. Am 19.02.2001 sandte der Mann während der Arbeitszeit der Auszubildenden eine SMS mit folgendem Inhalt: „[…] Du geiles Etwas, heute komme ich zu Dir, dann bumsen wir eine Runde.“

Die Auszubildende wandte sich an die betriebliche Jugend- und Auszubildendenvertretung und an den Betriebsrat. Der Vorgesetzte sprach den Maschinenführer umgehend auf den Vorfall an. Dieser antwortete, das sei seine Privatsache. Es folgte eine fristlose Kündigung.

Der Mann klagte gegen die Kündigung: Er habe der Frau gegenüber erklärt, dass er Interesse daran hätte, mit ihr zusammenzukommen, und er hätte nur eine Abmahnung bekommen sollen.

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entschied zugunsten des Arbeitgebers. Die fristlose außerordentliche Kündigung sei wirksam gewesen.

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 24.10.2001 - 9 Sa 853/01

Formen der sexuellen Belästigung

Sexuelle Belästigung bzw. sexualisierte Belästigung kann in drei Formen unterschieden werden:

  1. Verbal:
    • anzügliche Bemerkungen und Witze
    • zweideutige Kommentare
    • fragen mit sexuellem Inhalt
    • aufdringliche Einladungen zu Verabredungen
    • Aufforderung zu intimen oder sexuellen Handlungen
    • beleidigende Kommentare über die Kleidung, das Aussehen oder das Privatleben
    • Androhen von beruflichen Nachteilen, falls sexuelle Handlungen verweigert werden
    • Versprechen von beruflichen Vorteilen für sexuelle Handlungen
  2. Non-verbal:
    • anzügliche Blicke oder aufdringliches Starren
    • hinterherpfeifen
    • E-Mails, SMS, Fotos oder Videos mit sexuellem Bezug
    • aufdringliche unangemessene Annäherungsversuche in sozialen Netzwerken
    • Verbreiten pornographischen Materials
    • herabwürdigende Gesten
  3. Physisch:
    • jede unerwünschte Berührung, auch wenn diese zufällig erscheint
    • körperliche Annährung
    • körperliche Distanz nicht wahren
    • jegliche Form von körperlicher Gewalt
    • sexualisierte Übergriffe
    • Vergewaltigung

Es handelt sich bei dieser Liste lediglich um einige Beispiele und umfasst nicht alle Handlungen, die als sexuelle Belästigung gewertet werden können.

Das war doch nur ein Witz!

Insbesondere verbale und non-verbale Belästigung wird oft heruntergespielt. Der belästigten Person wird vorgeworfen, sie habe einen Witz nicht verstanden oder einen normalen Flirtversuch fehlgedeutet.

Ob es sich um einen Flirt, der durchaus am Arbeitsplatz gestattet ist, oder sexuelle Belästigung handelt, lässt sich leicht erkennen: Flirts geschehen in beiderseitigem Einverständnis.

Jedes übergriffige Verhalten ist weder ein Flirt noch ein Witz. Signalisiert eine Person Ablehnung oder wird auf irgendeine Art und Weise beschämt, handelt es sich klar um sexuelle Belästigung.

Im nächsten Teil widmen wir uns dem Thema: Zahlen, Fakten, Ursachen und Folgen.


Auflösung der Geschichten:

  1. Sexuelle Belästigung: Frau B. fühlt sich nach dem Kommentar nicht wohl.
  2. Sexuelle Belästigung: Frau S. will ihre Macht gegenüber Herrn K. präsentieren. Er fühlt sich offensichtlich unwohl.
  3. Keine sexuelle Belästigung: Frau R. und Herr L. sind nicht nur Arbeitskollegen und sie scheinen beide mit den Kosenamen einverstanden zu sein.
  4. Keine sexuelle Belästigung: Solange der Kalender für alle, die ihn sehen können, kein Problem darstellt, handelt es sich nicht um sexuelle Belästigung. Es wäre etwas anderes, wenn zum Beispiel die Personalleiterin von ihrem Arbeitsplatz ständig den Kalender sehen würde.
  5. Sexuelle Belästigung: Frau E. wurde von Frau J. offensichtlich beschämt und das auch noch in der Öffentlichkeit.
  6. Sexuelle Belästigung: Frau Z. möchte nicht, dass Herr P. ihr in den Ausschnitt schaut. Es spielt dabei keine Rolle, was für Kleidung Frau Z. dabei trägt.
  7. Quellen und Hintergründe:

Bild: Moose Photos (Pexels, Pexels Lizenz)

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