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Wie hält man die Angst vor Corona im Zaum?

02.04.2020  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Kaufmännische Krankenkasse – KKH.

Um die Corona-Ausbreitung zu verlangsamen, sind viele Menschen in Selbstisolation. Was löst diese ungewollte Enge in uns aus? Und wie können wir ihr begegnen? Antworten gibt Psychologie-Experte Michael Falkenstein von der KKH Kaufmännische Krankenkasse.

Die Vögel zwitschern, die Bäume treiben aus: Während vor unseren Wohnungstüren das Frühjahr zu Hochform aufläuft, betrachten wir es dieser Tage meist aus dem Fenster. In Deutschland gelten strikte Maßnahmen, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern. Der Alltag steht Kopf. Die eigenen vier Wände sind längst dauerhafter Rückzugsort.

Herr Falkenstein, wer sich und seine Lieben vor dem Corona-Virus schützen möchte, bleibt derzeit am besten in den eigenen vier Wänden. Eigentlich bietet ein Zuhause gerade jetzt Geborgenheit und Schutz. Warum bereitet vielen dieser Rückzug Unbehagen?

Die Situation ist für uns alle völlig neu. Wir sind es gewohnt, das Haus zu jeder Tages- und Nachtzeit verlassen zu können. Von einem Tag auf den anderen ist das nicht mehr möglich. Diese extreme Einschränkung verunsichert enorm. Dabei fehlen uns vor allem die sozialen Kontakte im Homeoffice, beim Homeschooling oder bei Freizeitaktivitäten. Hinzu kommt bei vielen die Sorge, dem Corona-Virus hilflos ausgeliefert zu sein. All das wirkt bedrohlich, weil es sich unserer Kontrolle entzieht. Damit umgehen zu lernen, ist eine echte Herausforderung.

Die Corona-Krise sorgt für eine starke Konzentration auf Familie und Freunde. Das Aufeinanderhocken kann besonders auf engerem Raum zur Zerreißprobe werden. Wie gelingt es, Spannungen und Frustrationen abzubauen, damit es in Familien und Partnerschaften nicht zu unnötigen Konflikten kommt?

Das enge Miteinander kann in der Tat nervenaufreibend sein. Die Corona-Krise sollte daheim nicht Thema Nummer 1 sein, das heißt auch, nicht ständig Nachrichten dazu laufen zu lassen. Es ist wichtig, sich zu informieren, aber über seriöse Medien und zeitlich begrenzt. Ansonsten überfordert man sich und andere emotional. Nutzen Sie Fernseher oder Laptop vielmehr, um sich etwas Lustiges oder Spannendes anzusehen. Ablenkung ist der wesentliche Schlüssel, um durch diese extreme Zeit zu kommen. Vielleicht liest man auch mal wieder ein gutes Buch, lauscht einem Hörspiel oder hält sich mit Hilfe von Sport und Gymnastik täglich fit. Achten Sie auch darauf, dass sich jeder regelmäßig für eine kleine Auszeit zurückziehen kann. Und ganz wichtig: gute Gespräche. Die Corona-Krise bringt eine Verlangsamung mit sich. Wir haben mehr Zeit für einander, für Partner, Kinder und Freunde. Erinnern Sie sich gemeinsam an schöne Ereignisse oder schmieden Sie Pläne für die Zeit nach Corona.

Die Corona-Pandemie löst Ängste bei den Bürgern aus: die Angst vor Vereinsamung, davor, selbst zu erkranken, sowie Existenzangst. Wie lassen sich diese Ängste im Zaum halten?

Ängste gehören zu unserem Leben. Sie dienen als Schutzschild. Entscheidend ist es, sie so gut es geht unter Kontrolle zu halten. Sonst können sie irrationale Formen bis hin zu Panik annehmen und zu irrationalem Verhalten führen, Beispiel Hamsterkäufe. Gegen die Angst vor sozialer Isolation hilft der intensive Austausch mit Familie und Freunden über Telefon oder Internet. Die Angst, sich mit dem Corona-Virus anzustecken, kann durch aktives Handeln verringert werden, sprich Hände gründlich waschen, Mindestabstand halten, Kontaktsperre befolgen. Existenzängste sind berechtigt, denn das Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen kann noch niemand abschätzen. Informieren Sie sich über staatliche Unterstützungsangebote. Das kann Ihre Sorgen mindern. Jeder sollte bedenken: Angst kann wie alle Gefühle andere anstecken! Wer sie unter Kontrolle hat, schützt sich und andere.

Soziale Kontakte und Alltagsaktivitäten sind auf ein Minimum begrenzt. Vor allem Singles sowie ältere Menschen daheim oder in Pflegeheimen sind isoliert. Was macht die soziale Isolation mit uns? Und wie können wir ihr begegnen?

Die Auswirkungen sind individuell. Viele Menschen brauchen tägliche soziale Kontakte. Sie leiden unter der momentanen Distanz und können psychisch krank werden, zum Beispiel depressiv. Medien helfen dabei gegenzusteuern. Telefonate, E-Mails oder Chats ermöglichen intensive Kommunikation. Damit lässt sich ein begrenzter Zeitraum ohne Direktkontakte überbrücken. Auch ein Gespräch von Balkon zu Balkon mit nötigem Abstand ist eine schöne Abwechslung. Ich denke, wer vorher nicht einsam war, ist es jetzt auch nicht. Mir erzählen Menschen, dass sie das Alleinsein gerade genießen und als Erholung vom sonst stressigen Alltag empfinden. Soziale Isolation kann auch wohltun und entlasten.

Wir erfahren derzeit große Solidarität, in der Nachbarschaft oder auch in sozialen Netzwerken. Die Menschen rücken näher. Warum geschieht das geballt nur in Krisenzeiten?

Um es mit einem Satz zu sagen: Helfen und für andere sorgen, macht glücklich! Das liegt an den Endorphinen, den Glückshormonen, die ausgeschüttet werden. Und gerade in Krisenzeiten sorgt Helfen für Ablenkung, lässt obendrein wenig Raum für Angst und Panik. Mit Solidarität verbinden wir Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft, Herzlichkeit, Mitgefühl, Engagement, Großzügigkeit. Wer möchte nicht so sein? Solidarität erwächst aus positiven Emotionen, die zum Aktivwerden und Nachahmen motivieren.

Kann es gelingen, die derzeit gelebte Solidarität in die Zeit nach der Krise hinüberzuretten?

Ich wünsche es mir. Aber ich denke, wenn das Leben wieder Fahrt aufnimmt, wird ein großer Teil der Solidarität der Vergangenheit angehören. Doch wenn nur ein kleiner Teil an Solidarität bleibt, zum Beispiel junge für ältere Menschen weiter einkaufen, wäre das ein schöner Effekt dieser extremen Zeit, die uns alle stark einschränkt und uns viel abverlangt.

Bild: Pedro Figueras (Pexels, Pexels Lizenz)

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