05.09.2016 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Nachdem ihr mittlerweile geschiedener Ehemann die Klägerin erfolgreich auf Zustimmung zur Zusammenveranlagung verklagt hatte, hob das FA den Bescheid über die getrennte Veranlagung auf und forderte von der Klägerin den Erstattungsbetrag in Höhe von insgesamt 3.855,31 € zurück. Auf den hiergegen gerichteten Einspruch erließ das FA den streitigen Abrechnungsbescheid vom 18.7.2014 und bestätigte den Rückzahlungsanspruch.
Das Finanzamt X erließ am 7.2.2014 einen Zusammenveranlagungsbescheid, aus dem sich nach Anrechnung sämtlicher Steuerabzugsbeträge der Klägerin und ihres geschiedenen Ehemanns eine Steuererstattung für das Jahr 2012 in Höhe von insgesamt 495,61 € ergab. Nach den Berechnungen des FA entfielen hiervon insgesamt 123,37 € auf die Klägerin (67,91 € Einkommensteuer und 65,46 € Solidaritätszuschlag).
Einspruch und Klage gegen den Abrechnungsbescheid vom 18.7.2014 blieben erfolglos. Das FG stützte sich unter anderem auf den Beschluss des BFH vom 14.12.2007 III B 102/06 (BFH/NV 2008, 526). Durch die Aufhebung des Bescheids über die getrennte Veranlagung sei der Rechtsgrund für die der Klägerin gezahlte Erstattung entfallen, so dass dem FA ein Rückzahlungsanspruch zustehe. Bei einem Wechsel der Veranlagungsart sei ein unabhängiges neues Veranlagungsverfahren durchzuführen.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg (BFH Beschluss vom 14.6.2016, VII B 47/15). Sowohl die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage als auch der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung setzen unter anderem voraus, dass eine Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind. Dagegen fehlt die Klärungsbedürftigkeit, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, d.h. wenn die Rechtslage eindeutig ist. Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen.
Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die nachträgliche Änderung der Veranlagungsart wirkt sich nach ständiger Rechtsprechung des BFH rechtsgestaltend auf die Steuerschuld aus, und zwar rückwirkend auf die Entstehung der Steuer zum Ablauf des Veranlagungszeitraums. Sie führt nicht zu einer Änderung der vorausgegangenen Steuerbescheide, sondern setzt ein neues, selbständiges Veranlagungsverfahren in Gang. Die ursprünglichen Steuerbescheide sind nicht zu ändern, sondern aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufzuheben. Die Beteiligten streiten nicht um materielle Besteuerungsgrundlagen, sondern um die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen auf die Steuerschuld, die der rechtsgestaltenden Wirkung des Wechsels der Veranlagungsart unterliegt.
Soweit dies für den Streitfall entscheidungserheblich ist, sind auch die Folgen des Wechsels der Veranlagungsart für die ursprüngliche Anrechnungsverfügung und den streitigen Abrechnungsbescheid geklärt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Abrechnungsbescheid hinsichtlich der Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträge grundsätzlich an die Anrechnungsverfügung gebunden ist. Ebenso kann offen bleiben, ob die zum Erhebungsverfahren gehörende Anrechnungsverfügung durch die Aufhebung des Steuerfestsetzungsbescheids bereits automatisch entfällt, da sie (stillschweigend) unter einer entsprechenden auflösenden Bedingung stand. Denn eine Aufhebung des Steuerfestsetzungsbescheids führt jedenfalls dazu, dass die Anrechnungsverfügung widerrufen werden kann.
Im Streitfall hat das FA die ursprüngliche Anrechnungsverfügung spätestens mit Erlass des Abrechnungsbescheids auch tatsächlich widerrufen. Damit ist der Rechtsgrund für die an die Klägerin geleistete Erstattung entfallen, so dass sie zur Rückzahlung verpflichtet ist. Da zwischen der Rückforderung der Erstattung aus einem aufgehobenen Steuerfestsetzungsbescheid über eine getrennte Veranlagung und der Erstattung aus einem vorherigen Zusammenveranlagungsbescheid, der aufgrund der Aufhebung des Bescheids über die getrennte Veranlagung wieder in Kraft getreten ist, nach Auffassung des BFH in BFH/NV 2008, 526 kein rechtlicher Zusammenhang besteht, muss dies erst recht gelten, wenn es (wie im Streitfall) nach Aufhebung der getrennten Veranlagung erstmalig zu einer Zusammenveranlagung kommt. Deshalb zieht das FG aus der Rechtsprechung des BFH den zutreffenden Schluss, dass § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG nicht für Zahlungen gelten kann, die im Rahmen der aufgehobenen getrennten Veranlagung geleistet worden sind. Dass das FG in seinem Urteil vom 26. Juni 2008 1 K 1365/05 zu einem anderen Ergebnis kommt, ändert nichts an der fehlenden Klärungsbedürftigkeit.
Da im Rahmen von Erstattungen keine Möglichkeit der Aufteilung besteht, kann die Klägerin den angestrebten finanziellen Ausgleich letztlich nur über den Zivilrechtsweg erreichen. Weshalb es aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sein soll, diesen Ausgleich zwingend in die Steuererhebung einzubeziehen, ist für den Senat nicht erkennbar und wurde von der Klägerin auch nicht näher ausgeführt.
Der Autor:
Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.
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