09.11.2015 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Klägerin ist eine Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH. Nachdem sie die Umsatzsteuererklärung 2007 mit dreieinhalbmonatiger Verspätung und die Erklärung für 2009 mit 7 Tagen Verspätung eingereicht hatte, forderte das FA die Umsatzsteuererklärung 2010 vorzeitig zum 30.9.2011 an. Nachdem auch diese Erklärung nicht fristgerecht eingegangen war, erließ das FA am 20.10.2011 einen Schätzungsbescheid, verbunden mit der Festsetzung eines Verspätungszuschlages von 480 €, gegen die die Klägerin Einspruch erhob. Nach Eingang der Steuererklärung am 17.11.2011 setzte das FA den Schätzungsbescheid auf 156.196 € herab, sodass eine Nachzahlung von noch 200,46 € verblieb. Den Verspätungszuschlag minderte es von 480 € auf 100 €.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein mit der Begründung, sie habe die Anforderung der Steuererklärung übersehen und sei nicht an die vorzeitige Abgabe erinnert worden. Mit Schreiben vom 27.1.2012 wies das FA darauf hin, dass es beabsichtige, in Bezug auf den Verspätungszuschlag zu verbösern, da auch in den Vorjahren die Steuererklärungen verspätet abgegeben worden seien (2006: 7 Tage, 2007: 3,5 Monate, 2010: 1,5 Monate). Im Hinblick auf die nur geringfügige Nachzahlung von 200,46 € in 2010 halte das FA einen Verspätungszuschlag von 0,967 % der festgesetzten Steuer (= 1.500 €) für ermessensgerecht.
Nachdem die Klägerin den Einspruch nicht zurückgenommen hatte, erließ das FA am 29.3.2012 eine Einspruchsentscheidung, in der sie den Verspätungszuschlag (wie angekündigt) auf 1.500 € erhöhte. Die Finanzbehörde habe gemäß § 367 Abs. 2 AO die Sache in vollem Umfang neu zu prüfen. Die Klägerin habe den Ablauf der Veranlagungstätigkeit erheblich gestört, weil sie die vorzeitig angeforderte Steuererklärung erst nach Schätzung der Besteuerungsgrundlagen eingereicht habe. Angesichts der Dauer der Überschreitung von 6 Wochen und dem verzögerten Abgabeverhalten in den Vorjahren sowie der geringen Nachzahlung im Verhältnis zur festgesetzten Umsatzsteuer halte es "betragsmäßig als auch prozentual" den Verspätungszuschlag von 1.500 € für angemessen.
Hiergegen erhob die Klägerin Klage vor dem FG mit der Begründung, das FA dürfe sein Ermessen nur einmal ausüben. Eine Verböserung im Einspruchsverfahren setze voraus, dass sich der zugrunde gelegte Sachverhalt im Verlauf des Einspruchsverfahrens wesentlich geändert habe, woran es fehle. Die Verböserung dokumentiere eine unsachliche Entscheidung zu Lasten eines wegen zahlreicher Streitigkeiten "offenkundig nicht geliebten" Steuerpflichtigen. Das FG wies die Klage ab. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung an das FG (BFH-Urteil vom 18.8.2015, V R 2/15). Das FA war zwar zur Festsetzung eines Verspätungszuschlages berechtigt und hat auch die Voraussetzungen für eine Verböserung im Rahmen einer Einspruchsentscheidung beachtet. Ein Verspätungszuschlag in der Höhe von 1.500 € bei geringfügiger Abschlusszahlung ist jedoch ermessensfehlerhaft (§ 102 FGO).
Nach § 152 AO kann das FA gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgerecht nachkommt, einen Verspätungszuschlag festsetzen, wenn das Versäumnis nicht entschuldbar erscheint. Die Höhe des Verspätungszuschlages darf 10 % der festgesetzten Steuer und den Betrag von 25.000 € nicht überschreiten. Der Sinn und Zweck des Verspätungszuschlages besteht als Druckmittel eigener Art in einem zugleich repressiven und präventiven (erzieherischen) Charakter.
Es soll die Störung der Veranlagungsarbeit durch den verzögerten oder unterbliebenen Eingang der Steuererklärung sanktioniert werden und der Steuerpflichtige für die Zukunft zur pünktlichen Abgabe der Steuererklärung angehalten werden. Diesem Zweck entsprechend sind bei der Bemessung der Höhe des Verspätungszuschlages neben seinem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Erklärungsabgabe zu veranlassen, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe gezogenen Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Bei der Gewichtung dieser Kriterien handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des FA, die gemäß § 102 FGO gerichtlich lediglich auf Ermessensfehler zu überprüfen ist.
Nach diesen Maßstäben ist die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zwar dem Grunde nach gerechtfertigt, weil die Klägerin die Umsatzsteuererklärung 2010 trotz vorzeitiger Anforderung schuldhaft erst mit einer Verspätung von 6 Wochen eingereicht hatte, in ihrer Höhe aber ermessensfehlerhaft.
Die Verböserung des zunächst auf nur 100 € festgesetzten Verspätungszuschlages im Einspruchsverfahren ist grundsätzlich zulässig. Entgegen der Darstellung der Klägerin hat das FA auch die weitere Voraussetzung erfüllt, wonach gemäß § 367 Abs. 2 AO der Rechtsbehelfsführer vor der Verböserung unter Angabe von Gründen hierauf hingewiesen wurde. Wie das FG zutreffend ausführt, hat das FA in seinem Hinweis im Schreiben vom 27.1.2012 die Verböserung des Verspätungszuschlages von 100 € damit begründet, dass das FA nunmehr auch die Verspätungen in den Vorjahren mit einbezogen habe. Eine mehrfache Verspätung in den Vorjahren kann auch dann zu Lasten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, wenn in den Vorjahren noch kein Verspätungszuschlag festgesetzt worden sein sollte.
Das FG hat jedoch nicht berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung des BFH neben der Anzahl und Dauer der Verspätung der Höhe der Abschlusszahlung ein erhebliches Gewicht beizumessen ist. Nach den BFH-Urteilen vom 15. März 2007 VI R 29/05 (BFH/NV 2007, 1076) und vom 8. Dezember 1988 V R 169/83 (BFHE 155, 46, BStBl II 1989, 231) stellt die Höhe der Abschlusszahlung die Richtschnur für die Bemessung der Höhe des Zuschlages dar. Zwar kann ein Verspätungszuschlag aus erzieherischen Gründen auch dann festgesetzt werden, wenn die geschuldete Steuer aufgrund der Voranmeldungen fast oder insgesamt bereits gezahlt worden war (hier 200,46 € Nachzahlung von im Verhältnis zur Steuer von 156.196 €). In diesen Fällen ist unter den Gesichtspunkten der Vorteilsziehung und des Verschuldens nachvollziehbar abzuwägen, welches Gewicht der verspäteten Abgabe der Steuererklärung noch zukommt, nachdem die geschuldete Steuer fast vollständig entrichtet worden ist. Zuschläge, die den Charakter steuerlicher Sanktionen haben, dürfen nicht außer Verhältnis zur Schwere des Verstoßes des Steuerpflichtigen gegen seine Pflichten stehen.
Demgemäß kann nach der Rechtsprechung des Senats ein die Abschlusszahlung übersteigender Verspätungszuschlag nur bei besonderer Schwere der Umstände des Einzelfalls festgesetzt werden.
Der Autor:
Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.
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