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Tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis (Kommentar von Udo Cremer)

18.12.2018  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Die Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis kann tarifbegünstigt sein. Dies setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich und definitiv überträgt. Was außerdem zu berücksichtigen ist, entschied der BFH (Urteil vom 21.8.2018, VIII R 2/15).

  1. 1. Die tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis (§ 18 Abs. 3 i.V.m. § 34 EStG) setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich und definitiv auf einen anderen überträgt. Hierzu muss der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellen.
  2. 2. Die "definitive" Übertragung des Mandantenstamms lässt sich erst nach einem gewissen Zeitablauf abschließend beurteilen. Sie hängt von den objektiven Umständen des Einzelfalls ab, die das FG als Tatsacheninstanz zu würdigen hat. Neben der Dauer der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit sind insbesondere die räumliche Entfernung einer wieder aufgenommenen Berufstätigkeit zur veräußerten Praxis, die Vergleichbarkeit der Betätigungen, die Art und Struktur der Mandate, eine zwischenzeitliche Tätigkeit des Veräußerers als Arbeitnehmer oder freier Mitarbeiter des Erwerbers sowie die Nutzungsdauer des erworbenen Praxiswerts zu berücksichtigen.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger seine Steuerberatungskanzlei gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 sowie § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 EStG in der für das Streitjahr (2008) geltenden Fassung tarifbegünstigt veräußert hat. Der Kläger ist Steuerberater und übte seine freiberufliche Tätigkeit seit dem Jahr 2003 in einer Einzelpraxis aus. Die Praxisräume lagen zunächst in der B Innenstadt, ab 1. April 2004 in B-C. Mit Vertrag vom 24. Januar 2008 veräußerte der Kläger seine Steuerberatungskanzlei mit Wirkung zum 1. April 2008 für einen Kaufpreis in Höhe von 750.000 € an eine in B-D ansässige Steuerberatungsgesellschaft (S-KG). Gegenstand des Kaufvertrags war neben dem mobilen Praxisinventar auch der gesamte Mandantenstamm des Klägers. Der Kläger verpflichtete sich, an der Mandatsüberleitung mitzuwirken und darüber hinaus neue Mandate für die S-KG zu akquirieren. Sämtliche Lieferungs- und Leistungsverträge sowie die Rechte und Pflichten gegenüber den Arbeitnehmern gingen auf die erwerbende S-KG über. Gleichzeitig schloss der Kläger mit der S-KG eine freiberufliche Tätigkeitsvereinbarung, die bis zum 31. Dezember 2010 befristet war. Danach sollte der Kläger seine bisherigen und neu akquirierten Mandanten im Namen und für Rechnung der S-KG beraten. Für 32 Wochenstunden war ein monatliches Pauschalhonorar in Höhe von 5.000 € netto sowie eine Umsatzbeteiligung an den Neuakquisitionen vereinbart.

Am 9. Mai 2009 legten der Kläger und die S-KG den endgültigen Kaufpreis für die Steuerberatungskanzlei auf 700.000 € fest. Mit Bescheid vom 10. November 2009 schätzte das FA die laufenden Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit im Streitjahr auf 130.000 €. Im Anschluss an die Mitteilung des Klägers, er habe aus der Veräußerung seiner Steuerberatungskanzlei einen Gewinn in Höhe von 685.000 € erzielt, erging am 14. Juni 2010 ein nach § 164 Abs. 2 AO geänderter Bescheid, der zusätzlich diesen Veräußerungsgewinn berücksichtigte und hierfür die Tarifbegünstigung des § 34 EStG gewährte. Während einer Außenprüfung gab der Kläger für das Streitjahr erstmals eine Einkommensteuererklärung ab. Daraufhin änderte das FA den Einkommensteuerbescheid erneut gemäß § 164 Abs. 2 AO. In dem Änderungsbescheid vom 21. März 2011 übernahm das FA die vom Kläger erklärten Beträge (laufende Einkünfte aus selbständiger Steuerberatertätigkeit in Höhe von 17.574 € sowie einen tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn in Höhe von 687.856 €) und setzte eine Einkommensteuer in Höhe von 243.873 € fest.

Die Außenprüfung kam zu dem Ergebnis, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Steuerberatungskanzlei als nicht begünstigter, laufender Gewinn zu erfassen sei. Denn der Kläger habe seine Tätigkeit für die S-KG zum 28. Februar 2010 aufgegeben und unter Mitnahme des überwiegenden Teils seiner Mandanten wieder eine Beratungstätigkeit im Rahmen einer Einzelpraxis aufgenommen. Dass dies zum Zeitpunkt der Veräußerung nicht vorhersehbar gewesen sei, führe zu keinem anderen Ergebnis. Dem entsprechend erhöhte das FA die Einkommensteuer des Klägers in dem wiederum nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid vom 19. Januar 2012 auf 294.333 €. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG Köln urteilte am 3. Dezember 2014 13 K 2231/12, dass nach der Rechtsprechung des BFH die tarifbegünstigte Veräußerung einer Einzelpraxis voraussetze, dass der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstelle.

Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (BFH Urteil vom 21.8.2018, VIII R 2/15). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger nicht die Voraussetzungen für eine tarifbegünstigte Veräußerung seiner Steuerberatungskanzlei gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 sowie § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 EStG erfüllt. Die Würdigung des FG, wegen der Wiedereröffnung einer Einzelpraxis im Februar 2010 handele es sich unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Streitfalls um nicht begünstigte laufende Einkünfte, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit auch der Gewinn aus der Veräußerung des ganzen Vermögens, das der selbständigen Arbeit dient (Praxisveräußerung). Für diesen Veräußerungsgewinn sieht § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 EStG eine Tarifbegünstigung vor. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt die Veräußerung einer Praxis voraus, dass der Steuerpflichtige die für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich auf einen anderen überträgt. Hierzu gehören insbesondere die immateriellen Wirtschaftsgüter der Praxis wie Mandantenstamm bzw. Praxiswert. Darüber hinaus muss der Veräußerer nach der Rechtsprechung des BFH seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellen. Diese Forderung nach einer zeitweiligen Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit beruht auf der Überlegung, dass bei fortdauernder Tätigkeit des Freiberuflers in seinem bisherigen örtlichen Wirkungskreis eine weitere Nutzung der persönlichen Beziehungen zu den früheren Mandanten auf eigene Rechnung des "Veräußerers" nahe liegt und es dadurch nicht zu einer definitiven Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen der Praxis auf den Erwerber kommt. Sie dient somit der Abgrenzung zwischen den tarifbegünstigten Veräußerungsgewinnen und den nicht begünstigten laufenden Einkünften.

Die "definitive" Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen, insbesondere des Mandantenstamms, hängt letztlich von den Umständen des Einzelfalls ab, die das FG als Tatsacheninstanz zu würdigen hat. Neben der Dauer der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit sind insbesondere die räumliche Entfernung einer wieder aufgenommenen Berufstätigkeit zur veräußerten Praxis, die Vergleichbarkeit der Betätigungen, die Art und Struktur der Mandate sowie die Nutzungsdauer des erworbenen Praxiswerts zu berücksichtigen. Wird der Veräußerer als Arbeitnehmer oder als freier Mitarbeiter im Auftrag und für Rechnung des Erwerbers tätig, ist dies grundsätzlich unschädlich, da der Erwerber trotzdem zivilrechtlich und wirtschaftlich in der Lage ist, die Beziehungen zu den früheren Mandanten des Veräußerers zu verwerten. Zwischen dem Veräußerer und seinen früheren Mandanten bestehen keine Rechtsbeziehungen mehr. Darüber hinaus ist es auch unschädlich, wenn der Steuerpflichtige seine bisherige freiberufliche Tätigkeit nur in einem geringen Umfang fortführt.

Insbesondere widerspricht das Kriterium der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit im bisherigen örtlichen Wirkungskreis für eine gewisse Zeit nicht dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung. Vielmehr handelt es sich um eine Auslegung des Begriffs der "Veräußerung des Vermögens" in § 18 Abs. 3 EStG unter Berücksichtigung der besonderen Natur des Wirtschaftsguts Mandantenstamm. Die für die Veräußerung des gesamten Vermögens erforderliche definitive Übertragung des Mandantenstamms kann letztlich nur nach einem gewissen Zeitablauf abschließend beurteilt werden. Dies gilt insbesondere für freiberufliche Tätigkeiten, die in einem besonderen Maß personenbezogen sind und bei denen sich deshalb die persönlichen Beziehungen des Erwerbers zu den bisherigen Mandanten des Veräußerers erst entwickeln bzw. festigen müssen.

Dadurch ist der Mandantenstamm ein "flüchtiges" Wirtschaftsgut, dessen dauerhafte und endgültige Übertragung auf den Erwerber verhindert werden kann, indem der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit fortführt bzw. wieder aufnimmt. Dies gilt unabhängig davon, dass es in jedem Fall die Entscheidung der Mandanten bleibt, von wem sie sich weiter beraten lassen. Nimmt der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit nach einer gewissen Zeit wieder auf, kann dies im Übrigen auch dann schädlich sein, wenn die Wiederaufnahme zum Zeitpunkt der Übertragung der Praxis nicht geplant war. Maßgebend ist allein, ob es objektiv zu einer definitiven Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen gekommen ist. Daran kann es allein durch die tatsächliche Wiederaufnahme der freiberuflichen Tätigkeit fehlen, auch wenn diese ursprünglich nicht geplant war.

Maßnahmen des Veräußerers, die wegen einer von Anfang an geplanten Wiederaufnahme dazu dienen sollen, die spätere Zurückgewinnung der Mandanten zu erleichtern, können eine definitive Übertragung des Mandantenstamms von vorneherein ausschließen bzw. die erforderliche Zeitspanne für die Einstellung der Tätigkeit verlängern. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Würdigung des FG, im Streitfall sei es wegen der Wiedereröffnung der Einzelpraxis nach 22 Monaten nicht zu einer definitiven Übertragung des Mandantenstamms auf den Erwerber und damit auch nicht zu einer tarifbegünstigten Praxisveräußerung gekommen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der Autor:

Udo Cremer

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuer­beraterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxis­orientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblatt­sammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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