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Städtebau: Stil als menschliches Bedürfnis

17.06.2010  — none .  Quelle: none.

Wirtschaftswissenschaftler der TU Chemnitz zeigen, dass es beim Stilgefühl bei Immobilien und im Städtebau einen einheitlichen Geschmack gibt - und dass Ästhetik bares Geld wert ist

"Bisher gab es einen fast Jahrhunderte andauernden Überhang der Nachfrage nach Wohnraum über das Angebot, so dass es möglich war, fast jeglichen Wohnraum zu vermarkten. Das wird sich aufgrund der zu erwartenden demographischen Entwicklung mit sinkenden Bevölkerungszahlen ändern", sagt Prof. Dr. Friedrich Thießen, Inhaber der Professur Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre an der TU Chemnitz, und ergänzt: "Ein zu erwartender Angebotsüberhang ermöglicht es den Nachfragern von Wohnraum, wählerischer zu werden." Gemeinsam mit TU-Promovend Nikolai Alexander Mader hat er sich in einer Studie zum Thema "Zur monetären Bedeutung der Ästhetik von Immobilien und der Ästhetik im Städtebau" mit dem Wert von Stil beschäftigt. Zentrales Ergebnis: "Es existiert ein Bedürfnis nach Stil, das prinzipiell unabhängig von Einkommen, Alter, Bildungsgrad oder Geschlecht ist. Dieses Bedürfnis ist offenbar einfach menschlich", fassen Mader und Thießen zusammen.

100 Personen haben in einem umfangreichen Fragebogen Urteile über Gestaltungsmöglichkeiten von Immobilien abgegeben. Dabei unterschieden die Wissenschaftler zwischen den Kategorien "im Gebäude", wozu etwa Innenansichten von Türen und Fenstern zählen, "am Gebäude", beispielsweise Dächer und Fassaden, sowie "im Gebäudekontext", worunter unter anderem die Homogenität der Bebauung fällt. Ist ein Dach mit Erker beliebter als eines ohne? Kommt eine verschnörkelte Fassade besser an als eine schlichte? Haben sanierungsbedürftige Gebäude Einfluss auf den Wert der Immobilien in der unmittelbaren Umgebung? Und vor allem: Wie sehr sind die Menschen bereit, für eine Immobilie, die ihnen besser gefällt, auch mehr Geld auszugeben?

Eintönige Flächen sollten vermieden werden, so ein Ergebnis der Wissenschaftler. Flachdächer lehnten die Probanden ab; aufgelockerte, durch architektonische Elemente belebte Dachflächen bevorzugten sie. Auch bei der Fassadengestaltung kamen ungestaltete Flächen nicht gut an, für stilvolle Fassaden waren die Befragten in hohem Maße bereit, Geld auszugeben - und das, obwohl die Fassadengestaltung keine Funktion außer dem optischen Gefallen hat. Insgesamt konnten die Wirtschaftswissenschaftler feststellen, dass es zwar bei den bevorzugten Gestaltungsformen unterschiedliche Geschmäcker gibt. "Diese sind aber erstaunlich gering ausgeprägt", sagt Mader. "Das würde es der Bauindustrie ermöglichen - wenn sie das Stilbedürfnis der Menschen aufgriffen -, standardisierte Lösungen zu erarbeiten", so sein Hinweis. Besonders einig waren sich die Studienteilnehmer bei Fragen rund um den Gebäudekontext - also etwa die Homogenität der Bebauung eines Straßenzuges: Zwischen Altbauten wollten sie keine moderne Architektur sehen, vor allem die Größe der aus dem Rahmen fallenden Gebäude spielt offenbar eine wichtige Rolle: Je größer und massiger, desto mehr lehnten die Probanden die Gestaltung ab. "Baulücken sollten nicht solitär, sondern kontextbezogen gefüllt werden. Der Wunsch von Bauherren, sich zu verwirklichen und Solitäre, also vom Kontext abweichende Gebäude zu errichten, um aufzufallen, mindert den Wert der übrigen Immobilien des Ensembles", fasst Thießen zusammen.

Das Bedürfnis nach Stil schlägt sich auch in Zahlungsbereitschaft nieder, die mit Einkommen und Bildungsgrad zu- und mit dem Alter abnimmt, erkennt die Studie. Menschen unterscheiden sich also weniger in ihrem Bedürfnis nach Stil, als in ihren Möglichkeiten oder ihrer Bereitschaft, für Stil zu bezahlen. "Bauherren müssen sich des Einflusses von Stil auf den Immobilienwert bewusst werden und in stilistischer Hinsicht angemessene Lösungen beauftragen, auch wenn diese zunächst etwas mehr kosten", so Mader. Architekten müssten mehr Sicherheit in Stilfragen bekommen und Universitäten häufiger Stilkunde unterrichten. "Das Ideal des Architekten darf nicht der Bau als Einzeldenkmal sein, sondern die Herstellung einer Harmonie mit dem Bestehenden. Dabei darf aber keine Langeweile entstehen. Menschen wollen Abwechslung. Die Kunst liegt darin, Homogenität im Großen zu schaffen und im Kleinen gleichzeitig ausreichend zu variieren", sagt Thießen.

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Quelle: Technische Universität Chemnitz
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