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Schadensersatz bei Weiterverbreitung von falschen Behauptungen auf Facebook

01.07.2024  — Rolf Becker.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Hass und Hetze haben sich wie die Pest in sozialen Medien verbreitet. Dabei werden auch gerne einmal ungeprüfte falsche Behauptungen von Gleichgesinnten weitergegeben. Ein Beklagter in Österreich erfuhr jetzt auch in dritter Instanz vor dem Österreichischen Obersten Gerichtshof (OGH), dass dies empfindliche Folgen haben kann.

Der Mitverbreiter haftet für den gesamten Schaden. Übertragbar wohl auch auf Deutschland, meint Rechtsanwalt Rolf Becker aus Alfter und erläutert das Urteil.

Shitstorm durch Posting bei Facebook über einen Polizisten

Gegenstand des Verfahrens ist der über einen österreichischen Polizisten im Februar 2021 hereingebrochene „Shitstorm“. Der stand im Februar 2021 bei einer Demonstration gegen Covid-19-Maßnahmen im Einsatz und wurde dabei gefilmt.
Ein Dritter veröffentlichte das Video auf Facebook mit einem Aufruf zur Beteiligung an einem Shitstorm und textete weiter dazu:

„Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in I*. Ein 82 jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet, und Stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig.“

Das war aber purer Unsinn. Tatsächlich war der Polizist damals (nur) Glied einer polizeilichen Absperrkette gewesen und hatte nicht an der Amtshandlung gegenüber dem 82-jährigen Mann teilgenommen. Um seinen Unmut zu zeigen, teilte der Beklagte einen Screenshot dieses Postings mit Aufruf und Text und Bild aus dem Video in seinem Facebook-Account, dessen Inhalt weltweit abrufbar war. In dem Bild war der klagende Polizist trotz der damals getragenen Covid-Maske erkennbar. Der Beitrag war sechs Tage abrufbar, dann löschte ihn der Beklagte selbst.

Beschämend und herabwürdigend

Es steht nicht fest, wie viele „Facebook-Freunde“ der Beklagte in der Zeit, in der sich der Beitrag auf seinem Facebook-Profil befand, hatte; ebenso wenig, wie oft der Beitrag geteilt wurde. Allerdings machte der Kläger 406 Personen ausfindig, die auf ihren Facebook-Profilen diesen Beitrag ebenfalls geteilt hatten. Unter den Postings fanden sich mehrere abschätzige Kommentare (wie beispielsweise „sicher so ein wixer der nur in da Uniform stark ist“, „Weg mit diesen scheiß Polizist“, „Psychopatischer Wixer“). In der Folge wurde der Polizist über Monate hinweg auf die Ereignisse immer wieder angesprochen und er erhielt auch Anfragen aus seiner Familie und dem beruflichen Umfeld. Er fand den Beitrag beschämend und herabwürdigend. Insgesamt war die Situation für den Kläger sehr belastend. Er hatte ständig das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Die Sachaufklärung, insbesondere Ausforschung der Personen, die den Beitrag ebenfalls teilten, kostete ihn große private Ressourcen. Er strengte mehrere Verfahren an. Auch den Beklagten ging er an und einigte sich zunächst mit ihm, worauf hin dieser 650 Euro zahlte. Allerdings widerrief der Beklagte dann den Vergleich. Auch andere Personen zahlten. Der Polizist erhob Klage auf öffentlichen Widerruf und Zahlungen für die Verletzung von Datenschutz und Bildnisschutz von insgesamt rund 3000 Euro.

Nur fahrlässig gehandelt?

Der Beklagte wendete sich gegen alle Ansprüche. Er habe den selbst erhaltenen Beitrag zwar geteilt, ihn aber schon am nächsten Tag wieder gelöscht. Den genauen Text habe er nicht wahrgenommen und eine Verletzung der DSGVO oder des DSG nicht zu vertreten. Er habe nicht absichtlich, sondern äußerstenfalls und zugegebenermaßen bei Teilung des Postings fahrlässig gehandelt. Deshalb habe er schon 650 Euro gezahlt. Damit sei seine Schadenersatzpflicht zur Gänze getilgt. Der Kläger habe schon Zahlungen, auch in medienrechtlichen Verfahren, erhalten, die er sich anrechnen lassen müsse. Sollte sich ein Schneeballeffekt ereignet haben, was er bestreite, so sei dies auf das Ursprungsposting zurückzuführen. Der Kläger werde nachzuweisen haben, dass und konkret zu welchem Zeitpunkt er von dritten Personen auf das Video angesprochen worden und dies auf das Posting des Beklagten zurückzuführen sei. Die Vorgehensweise des Klägers sei sittenwidrig und rechtsmissbräuchlich.

Die Instanzgerichte sahen die Rechtsverletzungen, sprachen dem Kläger aber nicht alle Ansprüche zu. Beide Parteien legten Revision ein.

Solidarische Haftung

Jetzt entschied der OGH (Urt. v. 26.04.2024, Az. 6Ob210/23k), dass der Kläger zwar keine Revision gegen die Entscheidung zum Widerruf einlegen durfte (hier war schon Rechtskraft eingetreten), aber er mehr Geld für die Rechtsverletzungen erhalten sollte. Dabei entschied der OGH wichtige Kernfragen der Haftung:

Kern des Revisionsverfahrens, so der OGH im Urteil, sei die Frage, ob und in welchem Umfang der Beklagte als am Shitstorm teilnehmender einzelner Poster für den eingetretenen Schaden ersatzpflichtig sei. Dass die Veröffentlichung des Fotos eine Datenschutz- und Bildnisverletzung darstellte, handelt das Gericht schnell als unproblematisch ab.

Shitstorm muss nicht alleine bewirkt werden

Das Gericht sah den Umstand, dass ein Shitstorm stattgefunden hatte, als erwiesen an, zumal der Kläger mehr als 400 Personen ausfindig gemacht hatte, die die Meldung verbreitet hatten. Problematisch war die Ursächlichkeit:

„Wesentlicher Kern für die Beurteilung ist, dass ein einzelner einen Shitstorm allenfalls „lostreten“, ihn mitverursachen oder daran teilnehmen kann – alleine bewirken kann er ihn nicht. Die Schlagkraft einer solchen Vorgehensweise liegt gerade erst in der öffentlichen Schmähung durch viele Personen, die vom Opfer als ungerechte Verurteilung durch die „Allgemeinheit“ erlebt wird.“

Unaufklärbarkeitsrisiko trägt der Teilnehmer

Der OGH weiter

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass dann, wenn Handlungen oder Unterlassungen mehrerer Personen, die je für sich als voller Haftungsgrund geeignet sind, als Schadensursache in Frage kommen, ohne dass feststellbar ist, wer von ihnen den Schaden tatsächlich verursacht hat, jeder (bloß) potentielle Täter aufgrund „alternativer Kausalität“ für „den Schaden“ haftet. Weil in den Fällen alternativer Kausalität die Haftung an die (bloß) potentielle Verursachung der in Betracht kommenden Schädiger geknüpft wird, wird für den Nachweis der Kausalität (nur) gefordert, dass die einzelnen Täter jeweils in hohem Maß konkret gefährlich für den Schadenseintritt gehandelt haben. Ihr Verhalten muss für den Schadenseintritt in höchstem Grad adäquat gewesen sein (…). Jeder der potentiellen Schädiger muss ein Verhalten gesetzt haben, das bis auf den strikten Nachweis der Ursächlichkeit alle haftungsbegründenden Elemente enthält (…). Dann haben die Schädiger, und zwar jeder von ihnen, das Unaufklärbarkeitsrisiko zu tragen, nicht der Geschädigte (…).

Fazit

Der Polizist konnte vom Beklagten Schadensersatz verlangen und zwar den ganzen Schaden und nicht nur den auf den Beitrag des Beklagten entfallenden Teil. Den hatte der Kläger eigentlich auf mehrere hunderttausend Euro geschätzt. „Es genügt der Nachweis des Klägers, Opfer eines Shitstorms gewesen zu sein, und dass sich der konkret belangte Schädiger daran rechtswidrig und schuldhaft beteiligt hat“. Es sei Sache des Beklagten, sich um den Regress zwischen anderen Mitbeteiligten zu kümmern. Die insgesamt etwas mehr als 3000 Euro waren aus Sicht des Gerichts nur ein kleiner Teil des erlittenen Schadens und daher zuzusprechen. In Deutschland meint die Instanzrechtsprechung bislang, dass ein einfaches Teilen ohne Kommentar keine Haftung begründet (OLG Frankfurt, Urteil vom 26.11.2015, Az.: 16 U 64/15). Ob das bei gleicher Sachlage so bestehen bliebe, ist zu bezweifeln.

Bild: Firmbee.com (Unsplash, Unsplash Lizenz)

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