26.08.2024 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans Böckler Stiftung.
In Ostdeutschland sind die Zuwächse am größten, wie eine neue Studie von Dr. Toralf Pusch, Forscher des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, zeigt. „Der Mindestlohn hat wesentlich dazu beigetragen, Lohnungleichheiten in verschiedenen Regionen Deutschlands zu verringern“, analysiert Pusch, der auf der Basis der aktuellsten vorliegenden amtlichen Daten die Entwicklung bis 2018 untersuchen konnte. „Die Wirkung des Mindestlohns ist aber natürlich kein Selbstläufer. Wenn es nur Mini-Erhöhungen gibt, wie in diesem Jahr und für das kommende Jahr vorgesehen, schwächt das den positiven Effekt“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI.
Deutlich stärkere Anhebungen und eine Orientierung an den Referenzgrößen der EU-Mindestlohnrichtlinie, die für einen angemessenen Mindestlohn unter anderem mindestens 60 Prozent vom Medianlohn nennt, ist ebenso notwendig wie eine wirksame Stärkung der Tarifbindung, die die EU ebenfalls fordert.
– Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI
WSI-Forscher Pusch hat erstmals Mindestlohneffekte sowohl für das individuelle Einkommen als auch für das bedarfsgewichtete Brutto- und Haushaltsnettoeinkommen berechnet. Grundlage waren die Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) der Jahre 2008, 2013 und 2018. Diese enthält sehr detaillierte und im Vergleich zu anderen Erhebungen umfassende Daten zur Einkommenssituation von rund 42.000 Haushalten in Deutschland. Da die EVS nur alle fünf Jahre erhoben wird und aus der Befragungsrunde von 2023 noch keine Daten vorliegen, kann die Studie allerdings weder die Effekte der Mindestlohn-Erhöhung auf 12 Euro im Jahr 2022 einbeziehen noch den Effekt der aktuell nur schwachen Anpassungen.
Während die Lohnentwicklung im unteren Einkommensbereich zwischen 2008 und 2013 nahezu stagnierte, gab es nach der Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 deutliche Zuwächse. Besonders eindrucksvoll zeigte sich dies in Ostdeutschland: Im Zeitraum von 2013 bis 2018 stiegen die individuellen Einkommen aus Löhnen der unteren 30 Prozent der Verteilung im Osten um durchschnittlich gut 21 Prozent, im Westen um rund 12 Prozent.
Dass das Plus in Ostdeutschland höher ausfiel, liegt daran, dass dort mehr Menschen im Niedriglohnsektor arbeiten als in Westdeutschland. Und je niedriger die Einkommen, desto höher waren die Zuwächse: So stiegen beispielsweise die Lohneinkommen von ostdeutschen Beschäftigten mit einem Monatsverdienst von knapp 1300 Euro bis 2018 preisbereinigt um durchschnittlich gut 31 Prozent. Der klare Anstieg bei den Monatseinkommen entkräftet auch die Sorge mancher Mindestlohn-kritischer Fachleute, Arbeitgeber könnten nach Einführung der Lohnuntergrenze im Gegenzug die Stundenzahl von Beschäftigten im Mindestlohnbereich reduzieren.
Auch die Einkommen der Menschen mit relativ hohen Einkommen stiegen, allerdings weniger stark: Zwischen 2013 und 2018 betrug der Anstieg bei den obersten 30 Prozent der Verteilung im Osten durchschnittlich rund 14 Prozent und im Westen 11 Prozent.
Neben den Auswirkungen des Mindestlohns auf die individuellen Einkommen hat Pusch auch die Haushaltseinkommen untersucht, sowohl brutto als auch netto. Dazu zählen neben Löhnen auch Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Sozialleistungen, Kapitaleinkommen und bei Wohneigentümern Mieten. Einige dieser Kategorien dürften vom Mindestlohn kaum betroffen sein. Bei Haushalten, die Sozialleistungen wie das Bürgergeld beziehen, wäre es sogar möglich, dass zusätzliches Lohneinkommen auf die Sozialleistungen angerechnet wird. In diesem Fall hätten diese Haushalte unter dem Strich einen deutlich geringeren Einkommenszuwachs.
Die Ergebnisse der Studie bestätigen dies jedoch nicht. Auch für Personen im ersten Dezil der Verteilung, also mit sehr niedrigen Einkommen, sind die Bruttohaushaltseinkommen nach Einführung des Mindestlohns gestiegen – in Ostdeutschland um rund 22 Prozent, in Westdeutschland um rund 11 Prozent. Deutliche mindestlohnbedingte Steigerungen der Bruttohaushaltseinkommen finden sich bis in die Mitte der Verteilung. Bei den Nettohaushaltseinkommen sind die prozentualen Zuwächse durch den Mindestlohn ähnlich hoch. Auch hier reichen die Effekte bis in die Mitte der Verteilung.
Theoretisch denkbar wäre auch, dass durch den Mindestlohn ein Teil der Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor verloren geht und die Betroffenen dadurch Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Um das zu überprüfen, hat der WSI-Forscher neben den Bruttohaushaltseinkommen der abhängig Beschäftigten auch die Einkommen aller erwerbsfähigen Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren analysiert. Auch hier gab es keine negativen Auswirkungen des Mindestlohns in der Breite. Im Gegenteil: Im unteren bis mittleren Bereich der Einkommensverteilung zeigten sich erneut positive Effekte, wenn auch nicht so stark wie bei der alleinigen Betrachtung der abhängig Beschäftigten.
Bild: coyot (Pixabay, Pixabay License)
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