08.11.2016 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Landgericht Stade.
BGB §§ 894, 1019, 1025 S. 2
1. Eine im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit (hier: Wegerecht) für ein herrschendes Grundstück besteht bei Teilung des Grundstücks grundsätzlich für die einzelnen Grundstücksteile fort.
2. Ist allerdings das entsprechende Flurstück derart mit Büschen und Bäumen zugewachsen und das Begehen oder Befahren faktisch unmöglich, sind die Eigentümer aller Grundstücke daran gehindert, das Wegerecht auszuüben.
3. Die Grunddienstbarkeit erlischt mit Eintritt der Verjährung, weil das Wegerecht in keiner Weise mehr ausgeübt werden kann, sodass ein Anspruch auf Löschung aus dem Grundbuch besteht.
In dem Rechtsstreit .... hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade auf die mündliche Verhandlung vom 17.02.2016 durch die Richterin am Landgericht Williams als Einzelrichterin für Recht erkannt:
1. Die Beklagten werden verurteilt, die Löschung der Belastung in Abteilung II lfd. Nr. 1 im Grundbuch von ### Blatt ### mit folgendem Inhalt: Das Recht der jeweiligen Eigentümer der Flurstücke ###, ###, ###, ###, ### und ### der Flur ### über das Flurstück zu gehen und zu fahren, zu bewilligen.
2. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 35,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.07.2015 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 Euro. und beschlossen: Der Streitwert wird auf 15.790,25 Euro festgesetzt.
Die Parteien streiten über die Löschung einer Grunddienstbarkeit.
Die Klägerin ist Eigentümerin der im Grundbuch Blatt ### eingetragenen Flurstücke ### und ### der Flur ### von ###. Das Flurstück ### ist nach Verschmelzung und Zerlegung aus den ursprünglichen Flurstücken ###, ###, ###, ###, ### und ### hervorgegangen (s. Aufstellung des Katasteramtes, Bl. 23 d.A.). Das Flurstück ### ist durch Zerlegung des früheren Flurstücks ### entstanden. Die Beklagten sind je zur Hälfte Eigentümer des Flurstücks ### und zu je 1/12 Miteigentümer des Wegeflurstücks ### (Zuwegung Entenstieg). Beide sind ebenfalls nach Verschmelzung und Zerlegung aus den Flurstücken ###, ###, ###, ###, ### und ### hervorgegangen. Hinsichtlich der Lage der Flurstücke und der Entwicklung ihrer Bezeichnungen wird auf die Anlagen K 3 (Bl. 20 ff. d. A.), B 1 bis B 3 (Bl. 45 ff. d.A.), B 5 und B 6 (Bl. 49 ff. d. A.) Bezug genommen.
In Abteilung II des Grundbuchs ist hinsichtlich des Flurstücks ### folgende Belastung eingetragen:
"Das Recht der jeweiligen Eigentümer der Flurstücke ###, ###, ###, ###, ### und ### der Flur ### über das Flurstück zu gehen und zu fahren. Unter Bezugnahme auf die Eintragungsbewilligung vom 24. April 1954 eingetragen am 24. Juli 1954, umgeschrieben am 19. November 1956 und umgeschrieben am 04.08.1993."
Hinsichtlich des Dreiecksflurstücks ###, welches sich zwischen den Flurstücken ### und ### befindet, ist kein Wegerecht im Grundbuch eingetragen.In der Vergangenheit hat keiner der berechtigten Eigentümer das eingetragene Wegerecht jemals ausgeübt. Das Dreiecksflurstück ### und der angrenzende, hintere Teil des Flurstücks ### sind seit mehr als 30 Jahren mit Büschen und Bäumen bewachsen, die es unmöglich machen, über das Grundstück der Klägerin zum Grundstück der Beklagten oder einem anderen der herrschenden Grundstücke zu gehen oder zu fahren. Hinsichtlich des Bewuchses wird auf die Anlage K 7 (Bl. 72 ff. d. A.) Bezug genommen.
Die Klägerin beabsichtigt, den vorderen, zum ### Weg zeigenden Teil des Flurstück ### mit einem Wohn- und Geschäftshaus zu bebauen. Die Bäume und Büsche im hinteren Teil des Grundstücks müssen dem Bebauungsplan zufolge erhalten bleiben. Die Klägerin bat die Beklagten daher schriftlich, einer Löschung des Wegerechts zuzustimmen, was diese ablehnten. Nach vergeblicher Mahnung schaltete sie ihre Prozessbevollmächtigten ein, die die Beklagten erneut mit Schreiben vom 05.02.2015 aufforderten, bis zum 11.02.2015 eine Löschungsbewilligung zu erteilen. Die Beklagten lehnten abermals ab.
Das eingetragene Wegerecht besteht derzeit nur noch zugunsten der Flurstücke ### und ###. Alle übrigen betroffenen Eigentümer haben einer Löschung bereits zugestimmt.
Die Klägerin meint, die Ausübung des Wegerechts sei bereits rechtlich unmöglich, weil das Flurstück ### wegerechtsfrei sei. Zudem sei das Wegerecht gem. § 1028 BGB erloschen, weil es seit mehr als 30 Jahren durch eine Anlage beeinträchtigt werde und der Beseitigungsanspruch der Beklagten verjährt sei. Im Übrigen sei Verwirkung eingetreten.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagten zu verurteilen, die Löschung der Belastung in Abteilung II lfd. Nr. 1 im Grundbuch von ### Blatt ### mit folgenden Inhalt: Das Recht der jeweiligen Eigentümer der Flurstücke ###, ###, ###, ### und ### der Flur ### über das Flurstück zu gehen und zu fahren, zu bewilligen.
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die mit der Löschung verbundenen Kosten zu tragen,
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 35,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie meinen, auf dem Grundstück der Klägerin befinde sich keine Anlage i.S.d. § 1028 BGB. Das Flurstück ### hindere die Ausübung des Wegerechts nicht, weil es ursprünglich Teil des herrschenden Grundstücks gewesen sei.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Klage ist zulässig und weit überwiegend begründet.
I. Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Löschungsbewilligung gem. § 894 BGB. Das Grundbuch von ###, Blatt ###, ist unrichtig, weil die in Abteilung II eingetragene Dienstbarkeit sowohl gem. §§ 1025 S. 2, 1019 BGB als auch gem. § 1028 12 BGB erloschen ist.
1. Die eingetragene Dienstbarkeit ist gem. §§ 1025 S. 2, 1019 BGB erloschen, weil ihr Vorteil für alle herrschenden Grundstücke mit Ausnahme des Flurstücks ### dauerhaft entfallen ist.
Die streitgegenständlich Dienstbarkeit wurde ursprünglich zugunsten der Flurstücke ###, ###, ###, ###, ### und ### im Grundbuch eingetragen. Sowohl des Flurstück ### der Klägerin als auch das Flurstück ### der Beklagten sind durch Verschmelzung und Zerlegung aus diesen ehemals herrschenden Grundstücken entstanden.
Wird ein herrschendes Grundstück geteilt, besteht eine im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit gem. § 1025 S. 1 BGB grundsätzlich für die einzelnen Teile fort. Sie bleibt als einheitliches Recht erhalten, das den Eigentümern der neuen herrschenden Grundstücke i. S. einer Gesamtberechtigung analog §§ 428, 432 BGB gemeinschaftlich zusteht. Gereicht die Dienstbarkeit nach der Zerlegung allerdings nur einem Teil der herrschenden Grundstücke zum Vorteil, erlischt sie gem. §§ 1025 S. 2, 1019 BGB für die übrigen Teile.
Die streitbefangene Dienstbarkeit ist allenfalls noch für das Flurstück ### vorteilhaft. Die Eigentümer aller übrigen herrschenden Grundstücke sind an der Ausübung des Wegerechts dauerhaft gehindert, weil sie das Flurstück ###, welches zwischen dem Flurstück der Klägerin und ihren Flurstücken liegt, faktisch nicht überqueren können (vgl. hierzu OLG München, Urteil vom 10.11.2014, 34 Wx 346/14, Rz. 13; BGH, Urteil vom 06.05.1966, V ZR 204/62, Rz. 22). Es ist seit mehr als 30 Jahren mit Büschen und Bäumen bewachsen, die ein Begehen oder Befahren unmöglich machen. Dies haben beide Parteien in ihrem Schriftsätzen übereinstimmend vorgetragen (vgl. insbesondere Seite 2, 3 und 5 der Klageerwiderung vom 10.09.2015). Soweit die Beklagten in der mündlichen Verhandlung erstmals behauptet haben, es müsse doch möglich sein, einen Weg in Fahrzeugbreite durch die Bäume auf dem Grundstück der Klägerin hindurchzuführen, ist ihr Vorbringen gem. § 138 I, II ZPO unbeachtlich. Denn ihre Einschätzung ist unzutreffend, wie die vorgelegten Lichtbilder (Anlage K 7, Bl. 72 ff. d. A.) zeigen. Zudem haben die Beklagten lediglich zu dem belasteten Grundstück ### vorgetragen (s. im Termin überreichte Skizze Bl. 137 d. A.). Zur Situation auf dem Flurstück ### haben sie keine Angaben gemacht.
Dass die Ausübung des Wegerechts in Zukunft wieder möglich werden könnte, ist nicht zu erwarten. Das Flurstück ### gehört der Klägerin, die keinerlei Interesse daran hat, es in einen begeh- oder befahrbaren Zustand zu versetzen. Die Beklagten könnten dies auch nicht erzwingen. Selbst wenn das Wegerecht fortbestünde, würde es sich nicht auf das Flurstück ### erstrecken, weil es aus dem ehemals herrschenden Grundstück hervorgegangen ist. Zwischen den Parteien, die beide Eigentümer herrschender Grundstücke wären, bestünde eine Bruchteilsgemeinschaft i.S.d. § 741 ff. BGB, die den Beklagten lediglich einen Anspruch auf Zustimmung zu einer Regelung der Ausübung des Wegerechts gem. § 745 BGB oder analog § 1024 BGB (vgl. hierzu Joost, in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 1025, Rn. 2 m. w. N. Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl. 2016, § 1025, Rn. 1 m.w.N.) verschaffen würde. Dieser Anspruch würde ihnen nicht weiterhelfen, weil im Rahmen einer Nutzungsregelung keine wesentliche Veränderung eines betroffenen Gegenstandes verlangt werden kann (vgl. § 745 III 1 BGB).
2. Das Wegerecht ist ferner gem. § 1028 I 2 BGB erloschen, weil sich auf dem belasteten Grundstück einen Anlage befindet, die seine Ausübung vollständig verhindert, und der Beseitigungsanspruch der Berechtigten zwischenzeitlich verjährt ist.
Der rückwärtige Bereich des Flurstücks ### ist seit mehr als 30 Jahren mit Büschen und Bäumen bewachsen, die ein Begehen oder Befahren verhindern. Auch dies haben die Parteien übereinstimmend in ihren Schriftsätzen vorgetragen (vgl. Seite 8 der Klageschrift, Bl. 8 d. A. Seite 5 des Klägerschriftsatzes vom 02.10.2015, Bl. 68 d. A., sowie Seite 5 der Klageerwiderung vom 10.09.2015, Bl. 43 d. A.). Der gegenteilige Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ist - wie oben bereits ausgeführt - gem. § 138 I, II ZPO unbeachtlich. Er wird durch die vorgelegte Anlage K 7 widerlegt und ist zudem so unsubstantiiert, das er einer Überprüfung nicht zugänglich ist.
Die Gewächse auf dem Flurstück ### stellen eine Anlage i.S.d. § 1020 BGB dar (vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2014, V ZR 151/13, Rz. 15), die die Ausübung des Wegerechts beeinträchtigt. Da die Beklagten ihren Beseitigungsanspruch aus §§ 1027, 1004 I BGB seit mehr als 30 Jahren nicht geltend gemacht haben, ist er zwischenzeitlich gem. §§ 1028 I, 197 Nr. 2 BGB verjährt. Mit Eintritt der Verjährung ist gem. § 1028 I 2 BGB auch die Dienstbarkeit vollständig erloschen, weil das Wegerecht in keiner Weise mehr ausgeübt werden kann.
3. Die Beklagten haben die Löschung der gesamten Dienstbarkeit zu bewilligen. Zwar hat die Klägerin in ihrem Antrag den Wortlaut des Grundbucheintrags unvollständig wiedergegen und das Flurstück ### nicht aufgeführt. Dies stellt jedoch ein unbeachtliches Schreibversehen dar, weil sich aus der Formulierung ihres Antrags unmissverständlich ergibt, dass sie die Löschung der gesamten Dienstbarkeit begehrt. Dies kann ihr ohne Verstoß gegen § 308 I ZPO zugesprochen werden.
II. Der Klagantrag zu Ziffer 2. ist dagegen unbegründet. Gem. § 897 BGB hat die Klägerin die Kosten der Grundbuchberichtigung im Innenverhältnis selbst zu tragen. Eine abweichende schuldrechtliche Vereinbarung der Parteien hat sie nicht dargelegt.
III. Ihre vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin gem. §§ 280 I, II, 286 BGB ersetzt verlangen. Sie stellen einen ersatzfähigen Verzugsschaden dar, weil die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigen erst einschaltete, nachdem sie die Beklagten selbst zur Abgabe einer Löschungsbewilligung aufgefordert und ihnen eine Mahnung übersandt hatte. Die außergerichtliche Geltendmachung des Löschungsverlangens war auch zweckdienlich, weil in der ex-ante Betrachtung nicht auszuschließen war, dass die Beklagten nach anwaltlicher Aufforderung eine Löschungsbewilligung erteilen würden. Die Kostenforderung der Klägerin wurde mit Klagzustellung am 30.07.2015 rechtshängig. Gem. §§ 291, 288 I BGB ist sie ab dem Folgetag zu verzinsen.
IV. Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 04.03.2016 und 14.03.2016 hat das Gericht, soweit sie neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel enthalten, gem. § 296a ZPO in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Ein Grund zur Wiedereröffnung der Verhandlung gem. §§ 296a S. 2, 156 ZPO hat nicht vorgelegen.
V. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 II Nr. 1, 709 ZPO. Den Streitwert des Antrags zu 1) hat das Gericht dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15.05.2014, V ZB 2/14, folgend gem. §§ 48 GKG, 3 ZPO auf 5 % des Wertes des belasteten Grundstücks von 305.805,00 Euro festgesetzt. Den Wert des Antrags zu 2) hat es auf 500,00 Euro geschätzt.