20.01.2015 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Klägerin ist eine aus den Eheleuten H.E. und S.E. bestehende GbR, deren Geschäftsgegenstand die Herstellung von Puppen und Teddybären, die Vermittlung von Fertighäusern sowie den Groß- und Einzelhandel mit Telekommunikationseinrichtungen umfasst. In 2001 erwarben die Eheleute ein unbebautes Grundstück und bebauten es mit einem Einfamilienhaus, in dem sich ein Arbeitsraum für die Herstellung von Puppen und Teddybären (8,19 qm) sowie ein Büro für verwaltungstechnische Arbeiten (10,11 qm) befinden. Das Gebäude wurde am 6. Mai 2002 bezogen. Die Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2002 reichten die Eheleute am 4. Januar 2005 beim FA ein und machten darin den Vorsteuerabzug aus den gesamten Herstellungskosten des Gebäudes geltend. Vor Erteilung der Zustimmung ordnete das FA eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung an. Ausweislich des Prüfungsberichts vom 18. Januar 2006 ging der Prüfer in Übereinstimmung mit der Klägerin von einer Nutzung des Gebäudes für unternehmerische Zwecke zu 23,72 % aus. Diesen Nutzungsanteil hatte die Klägerin aus dem Verhältnis der Flächen der unternehmerisch genutzten Räume (18,3 qm) zuzüglich 7,8 qm für sog. Verkehrsflächen (wie Windfang, zwei Flure und zwei Treppen) zur Gesamtfläche von 122,37 qm ermittelt. Der Prüfer beanstandete die zu niedrige Bemessungsgrundlage für die Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe und ermittelte diese auf der Grundlage von § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung mit 10 %.
Auf der Grundlage des Berichts der Umsatzsteuer-Sonderprüfung erging am 22. Dezember 2006 der Umsatzsteuerbescheid 2005 mit einer Steuerfestsetzung von 2.534,12 EUR unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO). Im Rahmen des Einspruchsverfahrens erkannte das FA eine unternehmerische Nutzung nicht mehr für die sog. Verkehrsflächen, sondern nur noch für die beiden Räume (18,3 qm) an und kürzte durch den nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid vom 21. Juli 2008 den unternehmerischen Nutzungsanteil demgemäß auf 14,95 % (18,3 qm von 122,37 qm). Bei Herstellungskosten des Gebäudes von 178.109,55 EUR und einem unternehmerisch genutzten Anteil von 26.627,37 EUR (14,95 % von 178.109,55 EUR) verblieben für den Wohnteil 151.482,18 EUR. Dessen Herstellungskosten seien für die Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgaben auf zehn Jahre zu verteilen, sodass sich eine Bemessungsgrundlage für unentgeltliche Wertabgaben von 15.148 EUR und eine Umsatzsteuer hierauf von 2.423,68 EUR ergaben. Dadurch erhöhte sich die festgesetzte Umsatzsteuer von 2.534,12 EUR auf 2.914,06 EUR.
Den Einspruch der Klägerin wies das FA am 29. August 2008 als unbegründet zurück. Die dagegen erhobene Klage wies das FG durch Urteil vom 7. Dezember 2011 12 K 4567/08 als unbegründet ab, ohne auf die von den Beteiligten umstrittene Frage nach der Bemessungsgrundlage der unentgeltlichen Wertabgaben einzugehen.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet und ist daher zurückzuweisen (BFH-Urteil vom 23.10.2014, V R 11/12). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die angegriffenen Bescheide nicht wegen unzutreffender Adressierung aufzuheben sind. Die Versagung des der Klägerin in 2002 gewährten Vorsteuerabzugs führt zwar, entgegen der Ansicht des FG, nicht zur Unbegründetheit der auf Herabsetzung der Umsatzsteuer 2005 gerichteten Klage. Die Entscheidung des FG stellt sich jedoch aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO), weil die Voraussetzungen einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG für das Streitjahr vorliegen.
Aus § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO folgt, dass das Gericht der Klägerin weder etwas zusprechen darf, was diese nicht beantragt hat ("ne ultra petita") noch über etwas anderes ("aliud") entscheiden, als die Klägerin durch ihren Antrag begehrt und zur Entscheidung gestellt hat. Die Klägerin hatte im finanzgerichtlichen Verfahren eine Herabsetzung der Umsatzsteuer 2005 auf 1.415 EUR beantragt. Die Klageabweisung begründete das FG mit der fehlenden Abzugsfähigkeit von Vorsteuern in dem nicht streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheid 2002. Es hat damit unter Verstoß gegen § 96 FGO über ein anderes Klagebegehren als das von der Klägerin bestimmte mitentschieden. Das Urteil des FG erweist sich aber trotz dieses Rechtsfehlers im Ergebnis als zutreffend. Die von der Klägerin im Streitjahr 2005 begehrte Minderung der Umsatzsteuer auf unentgeltliche Wertabgaben kann ihr nicht zugesprochen werden. Zwar liegen im Streitjahr die Voraussetzungen einer steuerbaren Verwendungsentnahme (§ 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1 UStG) nicht vor. Es greift aber eine betragsmäßig höhere Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a Abs. 1 UStG ein.
Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 UStG ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse innerhalb des bei Grundstücken maßgeblichen Berichtigungszeitraums von zehn Jahren ändern. Eine Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse liegt nicht nur vor, wenn sich diese in tatsächlicher Hinsicht geändert haben, sondern auch dann, wenn sich bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung der Verwendungsumsätze, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist, sofern die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist (Fallgruppe 1). Eine unzutreffende Beurteilung der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist dagegen keine "Änderung der (Verwendungs-)Verhältnisse" im Besteuerungszeitraum der Aufdeckung der Fehlbeurteilung; sie kann deshalb nur durch Änderung der fehlerhaften Steuerfestsetzung selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift korrigiert werden (Fallgruppe 2).
Im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen diesen beiden Fallgruppen ist auch ein Vorsteuerabzug nach § 15a UStG in den Folgejahren zu berichtigen, der wegen verspäteter Zuordnung materiell-rechtlich unrichtig vorgenommen wurde und der verfahrensrechtlich im Abzugsjahr nicht mehr entzogen werden kann. Denn mit Blick auf den Grundsatz der Abschnittsbesteuerung führt der materiell-rechtlich fehlerhafte, im Abzugsjahr gewährte Vorsteuerabzug in den Folgejahren nicht zur Besteuerung einer Verwendungsentnahme gemäß § 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1 UStG. Eine derartige Entnahme ist nur dann steuerbar, wenn die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach der Rechtslage im Veranlagungszeitraum der Verwendung. Fehlt es an einer rechtzeitigen Zuordnung des Gegenstands zum Unternehmen und deshalb auch am Recht zum Vorsteuerabzug, ist die Verwendungsentnahme nicht steuerbar. Nach diesen Grundsätzen liegen im Streitfall die Voraussetzungen einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG im Hinblick auf die unzutreffende Gewährung des Vorsteuerabzugs im Jahr der Fertigstellung des gemischt genutzten Gebäudes (2002) vor.
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