14.12.2017 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Technische Universität München.
„Unser Ansatz ist fundamental anders als alle bisherigen Konzepte: Seit Jahrzehnten wird die Klimatisierung verglaster Büro- und Verwaltungsgebäude immer komplexer. Wir hingegen erarbeiten Lowtech-Lösungen, die gleichzeitig sehr effizient sind“, berichtet Dr. Philipp Molter. Der Architekt an der TUM-Professur für Entwerfen und Gebäudehülle hat ein Belüftungssystem für doppeltverglaste Fassaden entwickelt, das sich automatisch öffnet, wenn die Temperatur über einen bestimmten Wert steigt und sich wieder schließt, wenn es kühler wird.
Das autoreaktive Lüftungssystem, das Molters Team zusammen mit dem Fassadenunternehmen Frener & Reifer konzipiert hat, könnte helfen, die 2015 in Paris vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Derzeit verschlingt das Heizen und Kühlen von Gebäuden weltweit fast 40 Prozent der verbrauchten Energie. Im Vergleich zu Wohngebäuden sind Hochhäuser mit Glasfassaden große Energiefresser.
Mit Hilfe verschiedener technischer Tricks versuchen Architekten und Architektinnen schon seit langem eine Überhitzung der Innenräume zu verhindern: Die gängige Lösung sind Sonnenschutzlamellen oder -rollos. Da diese jedoch vor Wind geschützt werden müssen, braucht man eine zweite, vorgelagerte Glasscheibe. Die Doppelverglasung hat zur Folge, dass ein Luftraum zwischen den Scheiben entsteht, der sich schnell aufheizt und diese Wärme an die Innenräume abgibt. Diese Räume müssen dann gekühlt werden..
Meist sind doppeltverglaste Hochhäuser daher mit Lüftungsschlitzen ausgestattet. Um diese bei Kälte oder Sturm schließen zu können, benötigt man eine ausgetüftelte Sensorik und viele kleine Elektromotoren. Die Signalverarbeitung läuft über den zentralen Computer der Haustechnik.
Noch komplexer ist die Technik bei der neuesten Generation von Hightech-Fassaden, den Closed Cavity Fassades, kurz CCFs. Hier gibt es keine Lüftungsschlitze, der Raum zwischen den Glasfronten ist versiegelt und wird über ein aufwändiges Röhrensystem ständig mit entfeuchteter Luft versorgt. Die Steuerung läuft auch hier über den Zentralrechner.
Verglichen mit all diesen Belüftungssystemen ist Molters Konzept erstaunlich einfach: „Unser Vorbild ist die menschliche Haut: Sie schützt uns vor Überhitzung, indem sich die Poren öffnen. Das geschieht automatisch, ohne dass wir darüber nachdenken müssen.“
Kernstück der von ihm entwickelten Ventflex-Technik sind paraffingefüllte Thermozylinder. Das Wachs-Öl-Gemisch im Inneren der Zylinder dehnt sich aus, wenn die Temperatur über einen bestimmten Wert ansteigt. Die Volumenerhöhung erzeugt einen Druck, der die Zylinder wie Teleskope auseinanderschiebt. Sinkt die Temperatur ab, ziehen sie sich wieder zusammen.
Bisher wurden Thermozylinder nur eingesetzt, um Lüftungsschlitze in Gewächshäusern zu öffnen und zu schließen. In seinem soeben abgeschlossenen Forschungsprojekt konnte Molter zeigen, dass sich die Technik auch eignet, um Doppelglasfassaden effizient, kostengünstig, energiesparend und ohne aufwändige elektronische Steuerung zu kühlen.
Die Elemente der neuen Lowtech-Fassade unterscheiden sich optisch nicht von gängigen Fassadenelementen. Die äußere Scheibe der doppeltverglasten Kastenfenster ist allerdings nicht fix montiert, sondern an allen vier Ecken über die Thermozylinder mit dem Rahmen verbunden.
Steigt die Temperatur zwischen den Scheiben auf über 23 Grad Celsius, drücken die Zylinder die äußere Glasfront um 5 Zentimeter nach außen. Durch den Schlitz zwischen Rahmen und Scheibe kann kühlere Außenluft eindringen und den Scheibenzwischenraum – in dem sich der aufgeheizte Sonnenschutz befindet – natürlich belüften. Sinkt die Temperatur auf unter 23 Grad, schließt sich der Spalt automatisch wieder. Die Reaktionszeit beträgt dabei nur wenige Minuten. Im Winter bleibt das Fassadenmodul an kalten Tagen geschlossen, um die Büroräume vor dem Auskühlen zu schützen.
Simulationen, die am TUM-Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen durchgeführt wurden, belegen, dass das neue Lowtech-Konzept äußerst effizient ist: Verglichen mit modernen Fassaden lassen sich bis zu 50 Prozent der Energie, die zum Heizen und Kühlen benötigt wird, einsparen. Bei Hochhäusern aus den 70er und 80er Jahren, die noch nicht renoviert wurden und die daher besonders viel Energie verbrauchen, können die Einsparungen erheblich größer sein.
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