28.11.2016 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Klägerin ist eine inländische GmbH, die Telefonkarten an gewerbliche Abnehmer veräußert. Die Klägerin erwarb die Karten bei verschiedenen Telefonanbietern, die in Drittländern und dem EU-Ausland ansässig sind. Sie bezahlte die Karten sofort und behielt die beim anschließenden Verkauf der Karten vereinnahmten Beträge vollständig für sich ein, ohne eine Abrechnung mit den Lieferanten vorzunehmen.
Auf den Telefonkarten waren eine Servicenummer sowie eine PIN-Nummer aufgedruckt, mit deren Hilfe die Endkunden im Rahmen des erworbenen Guthabens Telefongespräche über einen Provider führen konnten. Die Karten trugen verschiedene Markennamen, die keinen Bezug zum Namen des Telefonanbieters haben. Ein Hinweis auf den Namen des Anbieters befand sich nur bei den nicht im Online-Handel vertriebenen Karten, auf denen auf der Rückseite in kleiner Schrift die Bezeichnung "service provided by ..." enthalten war. Bei der Bestellung mussten die Kunden den von der Klägerin verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zustimmen, aus denen sich ergab, dass die Klägerin als Vermittlerin handelte. Die Klägerin ging davon aus, nur Vermittlungsleistungen erbracht zu haben. Zur Bestimmung der zu versteuernden Vermittlungsprovision zog sie aus den vollen Nennwerten, die sie den Abnehmern der Karten in Rechnung gestellt hatte, einen fiktiven prozentualen Anteil als Vermittlungsprovision ab und unterwarf diese in ihrer Steuererklärung der Umsatzsteuer. Nach den vom FG wiedergegebenen Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung machte sie weiter aus den Ausgangsrechnungen einen Vorsteuerabzug geltend, sodass "im Ergebnis in den Abrechnungspapieren eine Rechnung über die Lieferung von Telefonkarten sowie eine Gutschrift über die angenommene Vermittlungsleistung" zusammengefasst worden seien. Hinsichtlich des Einkaufs der Telefonkarten sei entsprechend verfahren worden. Die Eingangsrechnungen hätten die Karten-Nennwerte als nichtsteuerbare Leistung ausgewiesen.
Das ursprünglich zuständige Finanzamt folgte dem nicht. Die Klägerin habe bei den Kartenverkäufern nicht hinreichend deutlich gemacht, dass sie die Leistungen in fremden Namen und für fremde Rechnung erbringe, sodass keine Vermittlungsleistung der Klägerin anzunehmen sei. Das Finanzamt setzte mit Bescheid vom 21.8.2013 die Umsatzsteuer 2010 (Streitjahr) in Höhe von ... € fest, was zu einer Zahllast von ... € führte.
Das FG gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 684 veröffentlichten Urteil statt. An der Revision beteiligt ist das Finanzamt X, weil dieses durch die Verordnung über besondere Zuständigkeitsregelungen sachlich und örtlich für die Klägerin zuständig geworden ist. Die Revision ist begründet (BFH-Urteil vom 10.8.2016, V R 4/16). Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG-Urteil ist aufzuheben, weil es die Maßstäbe für die Abgrenzung von Eigengeschäft und Vermittlungsleistungen rechtsfehlerhaft angewandt und dadurch § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 9, § 3 Abs. 11 UStG 2010 verletzt.
Bei einem Handeln im Namen des Vertretenen ist umsatzsteuerrechtlich die dem Leistungsempfänger erbrachte Leistung grundsätzlich dem Vertretenen zuzurechnen. Ein Handeln in fremdem Namen kann sich auch aus den Umständen ergeben; es setzt voraus, dass der Name des Vertretenen bei Vertragsschluss genannt wird. Ein Vertreter liefert dagegen selbst, wenn durch sein Handeln in fremdem Namen lediglich verdeckt wird, dass er und nicht der Vertretene die Lieferung erbringt. Diesen Maßstäben widerspricht die Vorentscheidung. Das FG hat es unterlassen, die erforderlichen Feststellungen zu den Rechtsverhältnissen zu treffen, die den streitigen Leistungen zugrunde liegen. Es hat insbesondere nicht geprüft, ob, mit welchem Inhalt und gegenüber wem die von der Klägerin verwendeten AGB, nach denen sie lediglich als Vermittlerin tätig geworden ist, in die den Leistungen zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse einbezogen worden sind.
Das FG hat ferner unzutreffend nicht berücksichtigt, dass die Klägerin nach den bisher getroffenen Feststellungen die von ihr verkauften Telefonkarten auf eigene Rechnung selbst von den Telefonanbietern erworben hatte. Sollte dies zutreffend sein, wäre die Klägerin selbst bei einem mit ihren Kunden vereinbarten Handeln im fremden Namen ohne Vertretungsmacht tätig geworden, so dass zivilrechtlich ein Eigengeschäft nach §§ 177, 179 BGB vorläge, das umsatzsteuerrechtlich zu einer Leistung durch den vollmachtlosen Vertreter führen würde.
Rechtsfehlerhaft ist überdies die Annahme des FG, die Kunden der Klägerin könnten unter keinem denkbaren Gesichtspunkt davon ausgehen, dass die Klägerin die Telekommunikationsdienstleistungen selbst erbringen würde. Dafür fehlt jegliche Grundlage. Auch wenn die Klägerin aus Sicht der Kunden nicht in der Lage war, die technische Übertragungsleistung zu erbringen, können Telefonkarten im einzelnen Fall durchaus wie eine Ware gehandelt werden. Denn nach dem Urteil des EuGH Lebara (EU:C:2012:264, Rz 35 ff.) ist der Begriff der Telekommunikationsleistung als Dienstleistung weit auszulegen. Darunter sind gemäß Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem nicht nur die Übertragung von Signalen, sondern auch alle Leistungen zu verstehen, durch die eine solche Übertragung ermöglicht wird. Dies ist vorliegend der Fall, weil die Klägerin durch den Weiterverkauf von Telefonkarten dem Kunden ein (verbilligtes) Telefonieren im Netz des jeweiligen Anbieters ermöglicht. Die technische Möglichkeit zur Erbringung der Telefonleistung ist nach dem weiten Begriff der Telekommunikationsdienstleistung keine Voraussetzung für ein Eigengeschäft.
Da das FG-Urteil von anderen Rechtsgrundsätzen ausgeht, ist es aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Der erkennende Senat kann aufgrund fehlender Feststellungen insbesondere zu den Rechtsverhältnissen nicht selbst entscheiden, ob die Klägerin als Vermittlerin oder als Eigenhändlerin anzusehen ist. Das FG wird diese Feststellungen in einer neuen Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben. Ferner wird zu prüfen sein, ob bei einem Ankauf der Telefonkarten aus einem Drittland oder dem übrigen Gemeinschaftsgebiet der Ankauf überhaupt steuerbar ist, weil der Leistungsort für eine sonstige Leistung an einen Unternehmer nach § 3a Abs. 2 UStG der Sitz der Klägerin ist. Für diese steuerbare Leistung ist zwar gemäß § 13b Abs. 1 und 5 UStG die Umsatzsteuer von der Klägerin als Leistungsempfängerin einzubehalten; sie ist aber nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt. Ebenso ist die Steuerbarkeit der Ausgangsumsätze zu überprüfen.
Der Autor:
Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.
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