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Diversity Management – wie viel Vielfalt darf sein?

03.12.2014  — Daniel Hund.  Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht.

Vielfalt in der Belegschaft („Diversity“) schreibt sich mittlerweile jedes größere Unternehmen auf die Fahne - und ergreift oft gezielte Maßnahmen, um das Ziel in der Belegschaft auch tatsächlich zu erreichen. Stichwort "Diversity Management".

Beim Thema Diversity Management gilt es mehr noch mehr als in anderen Bereichen die rechtlichen Grenzen zu beachten, die sich insbesondere aus dem Antidiskriminierungsrecht ergeben.

1. Motive für Diversity Management

Motive für Diversity Management gibt es viele. In einem zunehmend bewerberfreundlichen Marktumfeld können es sich Unternehmen kaum mehr leisten, z. B. auf ausreichend weibliche Mitarbeiter in Führungspositionen oder auf Mitarbeiter, die ethnischen Minderheiten angehören, zu verzichten. Von einer namentlich im Hinblick auf Geschlechter und ethnische Minderheiten diversifizierten Belegschaft versprechen sich viele Unternehmen zudem Vielfalt im Denken und damit mehr Kreativität und eine bessere Ansprache verschiedenster Zielgruppen. Gerade im internationalen Kontext ist mangelnde Diversität in der Belegschaft auch schlicht schädlich fürs Unternehmensimage.

2. Rechtliche Notwendigkeit für Diversity Management

Daneben gibt es sogar rechtliche Notwendigkeiten, die Belegschaft entsprechend den gesellschaftlichen Gegebenheiten zu diversifizieren. Zum einen verpflichtet § 12 AGG die Unternehmen, erforderliche Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft oder der Religion zu ergreifen. Zum anderen schützt kaum etwas besser vor dem Vorwurf, Mitarbeiter wegen des Geschlechts oder der ethnischen Herkunft etwa bei Beförderungen zu diskriminieren, als eine auf allen Hierarchieebene diversifizierte Belegschaft.

Nach der Rechtsprechung des BAG eignen sich Statistiken über die Zusammensetzung der Belegschaft, gerade auch bezüglich höherer Führungsebenen, nämlich durchaus als Hinweis dafür, dass Mitarbeiter bspw. wegen des Geschlechts oder der ethnischen Herkunft bei einer Beförderung übergangen wurden. Zwar reicht eine derartige Statistik für sich genommen i. d. R. nicht aus, um eine Diskriminierung hinreichend zu indizieren. Sie kann aber i. V. m. anderen belastenden Umständen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung dazu führen, die Beweislast im Gerichtsprozess nach § 22 AGG auf das Unternehmen zu verlagern (BAG, Urt. v. 21.6.2012 – 8 AZR 364/11, AuA 3/13, S. 182; v. 22.7.2010 – 8 AZR 1012/08, AuA 5/11, S. 308).

Vorschrift: § 22 AGG – Beweislast

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Der Arbeitgeber muss in einem solchen Fall also beweisen, dass er keine Diskriminierung begangen hat – was in der Praxis sehr oft dazu führt, dass er den Prozess verliert.

Beispiel:

Unterhalb der zweitobersten Führungsebene beschäftigt ein Unternehmen fast ebenso viele Frauen wie Männer. Auch in der Gesamtbelegschaft ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern nahezu ausgeglichen. Auf der zweitobersten Führungsebene, die aus 20 Führungskräften besteht, findet sich hingegen keine Frau. A klagt gegen das Unternehmen wegen Diskriminierung. Sie behauptet, sie sei bei einer Beförderung in die zweitoberste Führungsebene deshalb nicht berücksichtigt worden, weil sie weiblich sei. Befördert wurde ein gleich qualifizierter Mann. A kann im Prozess über das zahlenmäßige Verhältnis von Männern und Frauen auf sämtlichen Führungsebenen hinaus darlegen und beweisen, dass ein Vorstandsmitglied bezogen auf ihre Nichtbeförderung ihr gegenüber geäußert hat: „Sie kennen doch das Vorstandsmitglied, das für die Beförderung zuständig ist. Der tut sich halt schwer mit Frauen.“ In Verbindung mit dieser Äußerung ist die genannte Statistik durchaus geeignet, eine Diskriminierung zu indizieren. Man muss nun also beweisen, dass A bei der Beförderung nicht diskriminiert wurde. Praktisch dürfte dies schwer sein, vor allem weil der bevorzugte männliche Konkurrent nicht höher qualifiziert ist als A. Hätte man bereits frühzeitig Maßnahmen ergriffen, um sämtliche Führungsebenen zu diversifizieren, würden die Diskriminierungsvorwürfe kaum verfangen.

3. Positive Maßnahmen

Aus den genannten Gründen ergreifen viele Unternehmen positive Maßnahmen zur Förderung bisher unterrepräsentierter Mitarbeitergruppen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Viele geben etwa ihren Führungskräften das Ziel vor, den Frauenanteil und/oder den Anteil von ethnischen Minderheiten in ihren Teams zu erhöhen und knüpfen daran auch Bonuszahlungen. Manche verordnen sich Quoten auf gewissen Hierarchieebenen oder einen generellen Vorrang bei Einstellungen und Beförderungen zu Gunsten benachteiligter Arbeitnehmer bei mehreren gleich qualifizierten Kandidaten. Andere Arbeitgeber setzen eher auf „weichere“ Anreize für Bewerber aus unterrepräsentierten Zielgruppen, wie etwa spezielle Arbeits- oder Urlaubsangebote für Mütter, bevorzugte Nutzung eines Betriebskindergartens, Gebetsräume für muslimische Angehörige ethnischer Minderheiten oder schlicht Gehaltsvorteile.

4. Zulässigkeit positiver Maßnahmen im Allgemeinen

Bei alledem muss aber sorgsam geprüft werden, ob dadurch Mitarbeiter rechtswidrig diskriminiert werden, die nicht einer bisher unterrepräsentierten Gruppe angehören. Denn die einen zu fördern, heißt nicht selten, andere zu benachteiligen.

Beschäftigte dürfen nach § 7 AGG u. a. nicht wegen ihres Geschlechts, der Rasse bzw. der ethnischen Herkunft oder ihrer Religion benachteiligt werden. Dies gilt selbstverständlich auch für Angehörige nicht unterrepräsentierter Gruppen. In einem Unternehmen, in dem z. B. weit überwiegend Männer arbeiten und/oder in Führungspositionen sind, dürfen also auch Männer im Grundsatz nicht benachteiligt werden. Das AGG erlaubt aber andererseits, bisher benachteiligte Gruppen unter gewissen Voraussetzungen durch positive Maßnahmen zu fördern.

Vorschrift: § 5 AGG – Positive Maßnahmen

Ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 sowie in § 20 benannten Gründe ist eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen.

Positive Maßnahmen müssen objektiv zur Förderung der benachteiligten Gruppe geeignet und angemessen sein (EuGH, Urt. v. 30.9.2010 – C-104/09, „Roca Álvarez“, NZA 2010, S. 1281) und dürfen in die Belange der von der Begünstigung ausgenommenen Personen nicht übermäßig eingreifen. Eine Maßnahme ist geeignet, wenn sie den fraglichen Nachteil ausgleicht oder wahrscheinlich verhindern kann. Sie ist angemessen, wenn die von ihr bewirkte Zurücksetzung nicht geförderter Personen weder deren völligen Ausschluss von den fraglichen Vergünstigungen bewirkt noch eine Entscheidungsautomatik zu ihren Lasten enthält (EuGH, Urt. v. 11.11.1997 – C-409/95, „Marschall“, NZA 1997, S. 1337). Die Umstände des Einzelfalls müssen auch bei Anwendung von Förder- oder Ausgleichsmaßnahmen stets berücksichtigt werden (BAG, Urt. v. 21.1.2003 – 9 AZR 307/02, NZA 2003, S. 1036). Der EuGH unterscheidet dabei zwischen zulässigen Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit und unzulässigen Maßnahmen zur Herstellung von Ergebnisgleichheit (EuGH, Urt. v. 17.10.1995 – C-450/93, „Kalanke“, NZA 1995, S. 1095; v.19.3.2002 – C-476/99, „Lommers“, NZA 2002, S. 501).

5. Zulässigkeit von Quoten- und Vorrangregelungen

Bei Quoten- und Vorrangregelungen, die sich Unternehmen z. B. im Hinblick auf bestimmte Führungsebenen selbst verordnen, ist zu differenzieren. Starre Quoten- und Vorrangregelungen, aufgrund derer Angehörige einer unterrepräsentierten Gruppe bei gleicher oder sogar niedriger Qualifikation automatisch vorrangig eingestellt oder befördert werden, sind nicht zulässig. Benachteiligen die Verantwortlichen einen Konkurrenten, kann er sich erfolgreich hiergegen wehren. Bei einem öffentlichen Arbeitgeber kommt eine arbeitsrechtliche Konkurrentenklage in Betracht. Von einem privaten Arbeitgeber kann der Übergangene Schadensersatz bzw. Entschädigung nach § 15 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AGG verlangen.

Lediglich für eine Quotierung von Ausbildungsplätzen gilt bei überragender Bedeutung der Ausbildung für die Verwirklichung von Chancengleichheit u. U. etwas anderes (EuGH, Urt. v. 28.3.2000 – C-158/97, „Badeck“, NZA 2000, S. 473), sofern dadurch der Zugang für Angehörige nicht geförderter Gruppen nicht gesperrt wird.

Beispiel:

In einem privaten Unternehmen gibt es eine Regelung, wonach auf Hierarchieebenen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, diese gegenüber Männern mit gleicher Qualifikation bei Beförderungen unbedingt zu bevorzugen sind. Eine Unterrepräsentation liegt nach dieser Regelung vor, wenn auf einer Hierarchieebene nicht mindestens 50 % der Beschäftigten weiblich sind. Mitarbeiterin F und Mitarbeiter M bewerben sich um eine Beförderung auf die zweithöchste Hierarchieebene, auf der 40 % Frauen und 60 % Männer tätig sind. Beide sind gleich qualifiziert und verfügen über dieselbe Berufserfahrung und Seniorität. F wird gemäß der Quotenregelung befördert, M nicht berücksichtigt. Die Beförderung benachteiligt M in unzulässiger Weise. Die Quotenregelung ist nicht nach § 5 AGG als positive Maßnahme gerechtfertigt. Denn sie räumt den Frauen bei Ernennungen oder Beförderungen absolut und unbedingt den Vorrang ein und geht daher über eine Förderung der Chancengleichheit hinaus. Eine solche Regelung setzt, insoweit sie darauf abzielt, dass auf allen Hierarchieebenen mindestens ebenso viel Frauen wie Männer vertreten sein sollen, an die Stelle der in § 5 AGG vorgesehenen Förderung der Chancengleichheit das Ergebnis, zu dem allein die Verwirklichung einer solchen Chancengleichheit führen könnte (vgl. EuGH v. 17.10.1995, a. a. O.).

Anders ist die Rechtslage, wenn die Quoten- oder Vorrangregelung zwar grundsätzlich den Vorrang Angehöriger einer benachteiligten Gruppe anordnet, dieser Vorrang aber nicht unbedingt ist, sondern eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung etwaiger Härten erfolgen muss.

Beispiel:

In einem privaten Unternehmen gibt es eine Regelung, wonach auf Hierarchieebenen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, diese gegenüber Männern mit gleicher Qualifikation bei Beförderungen zu bevorzugen sind. Eine Unterrepräsentation von Arbeitnehmerinnen liegt nach dieser Regelung vor, wenn auf einer Hierarchieebene nicht mindestens 50 % der Mitarbeiter Frauen sind. Nach der Quotenregelung soll eine solche Bevorzugung aber nicht in Härtefällen erfolgen. Ein Härtefall liegt danach vor, wenn der männliche Kandidat mindestens eine fünf Jahre höhere Betriebszugehörigkeit aufweist. Mitarbeiterin F und Mitarbeiter M bewerben sich um eine Beförderung auf die zweithöchste Hierarchieebene, auf der 40 % Frauen und 60 % Männer tätig sind. Beide verfügen über gleiche Qualifikationen sowie über dieselbe Berufserfahrung und Seniorität. F wird gemäß der Quotenregelung befördert, M geht leer aus und kann sich – anders als im vorangegangenen Beispiel – nicht auf eine unzulässige Diskriminierung berufen. Die Quotenregelung ist eine zulässige positive Maßnahme i. S. v. § 5 AGG. Die Abgrenzung zwischen einer zulässigen Maßnahme zur Durchsetzung der Gleichberechtigung und einer verbotenen Diskriminierung wird hier durch die vorausgesetzte gleichwertige Qualifikation, die Unterrepräsentanz von Frauen sowie die Härtefallregelung gewährleistet. Damit ist auch eine unverhältnismäßige Belastung von männlichen Bewerbern ausgeschlossen. Sie können sich wegen der Härtefallregelung im Einzelfall auch gegenüber den nach § 5 AGG geförderten Frauen durchsetzen (vgl. BAG, Urt. v. 21.1.2003 – 9 AZR 307/02, BAGE 104, S. 264).

Praxistipp:

Quoten- oder Vorrangregelungen dürfen nur zur Anwendung kommen, wo tatsächlich eine bestimmte Gruppe unterrepräsentiert ist. Diese Unterrepräsentanz sollte im Regelwerk definiert werden. Eine vorrangige Behandlung sollte im Übrigen nur für den Fall vorgeschrieben sein, dass der zu bevorzugende Mitarbeiter mindestens gleichwertig wie andere Kandidaten qualifiziert ist. Zudem muss das Regelwerk mindestens eine Härtefallregelung enthalten, die die Begebenheit möglichst genau definiert und in dem keine Bevorzugung erfolgt.

Bei Quoten- und Vorrangregelungen kann regelmäßig der Betriebsrat nach § 95 Abs. 1 BetrVG erzwingbar mitbestimmen. Danach bedürfen Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats. Auswahlrichtlinien sind Grundsätze, die der Entscheidungsfindung bei personellen Einzelmaßnahmen dienen sollen, wenn für diese mehrere Arbeitnehmer und Bewerber in Frage kommen (BAG, Beschl. v. 10.12.2002 – 1 ABR 27/01). Soweit es um Einstellungen, Versetzungen und Umgruppierungen geht, ist dies bei Quotenregelungen der Fall.

6. Zulässigkeit von Zielvereinbarungen mit Führungskräften

Die zu Quoten- und Vorrangregelungen von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze kann man auch auf die folgende Frage anwenden: Wie ist es rechtlich zu bewerten, wenn ein Unternehmen den Führungskräften bonusrelevante Ziele vorgibt oder diese mit ihnen vereinbart, wonach bevorzugt Mitarbeiter einer bestimmten bisher benachteiligten Gruppe vorrangig einzustellen, zu fördern oder zu befördern sind? Auch insoweit muss man unter Berücksichtigung des Einzelfalls danach differenzieren, inwieweit das bonusrelevante Ziel gerechtfertigt und ob die Zielvorgabe bzw. Zielvereinbarung angemessen ist. Selbst wenn ein solcher Automatismus in der Zielvorgabe bzw. Zielvereinbarung ausgeschlossen ist, muss man prüfen, ob der gesetzte finanzielle Anreiz so stark ist, dass er faktisch zu einem solchen Automatismus führt.

Praxistipp:

Bei bonusrelevanten Zielvorgaben oder Zielvereinbarungen sollten die Verantwortlichen zum einen darauf achten, dass die Führungskraft nur dort gewisse Gruppen bevorzugt, wo auch tatsächlich eine Unterrepräsen tation vorhanden ist. Zudem sollten Härtefälle klar definiert werden, in denen eine Bevorzugung zu unterlassen ist. Ungeachtet dessen empfiehlt es sich, den finanziellen Anreiz, der mit dem Ziel einhergeht, zu definieren, ggf. zu begrenzen und im Verhältnis zur restlichen Vergütung der Führungskraft nicht zu hoch zu setzen (maximal ca. 10 %).

7. Zulässigkeit von „weichen“ Anreizsystemen

Auch besondere Anreizsysteme für bestimmte Mitarbeitergruppen erfordern eine bisher bestehende Benachteiligung und müssen objektiv geeignet und angemessen sein, diese Benachteiligung zu beseitigen. Angemessen sind sie nur dann, wenn sie in die Belange der von der Begünstigung ausgenommenen Personen nicht übermäßig eingreifen. Auch hier sind pauschale Aussagen kaum möglich. Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend.

Beispiel:

In einem Unternehmen sind Mitarbeiterinnen mit Kindern unterrepräsentiert. Man möchte daher Anreize für diese Personengruppe setzen, sich als familienfreundlicher Betrieb darstellen und beschließt folgende Regelung: „Arbeitnehmerinnen haben pro Arbeitstag Anspruch auf eine Stunde Arbeitsbefreiung, die sie in zwei Abschnitte aufteilen können, um ein Kind zu stillen, das weniger als neun Monate alt ist. Der Frau steht es frei, stattdessen ihre tägliche Arbeitszeit zu demselben Zweck um eine halbe Stunde zu kürzen. Die Regelung gilt auch für männliche Arbeitnehmer, soweit die Mutter des Kindes ebenfalls abhängig beschäftigt ist.“ Mitarbeiter A ist Vater eines sechsmonatigen Kindes, die Mutter aber selbstständig tätig, so dass er keinen „Stillurlaub“ erhält. A fühlt sich von der Regelung in unzulässiger Weise diskriminiert. Diese Ansicht vertritt auch der EuGH. Da Mütter den „Stillurlaub“ auf jeden Fall erhalten, Männer aber nur, wenn die Mutter ihres Kindes abhängig beschäftigt ist, besteht eine Ungleichbehandlung. Diese ist nicht durch § 5 AGG gerechtfertigt. Die Regelung ist nicht geeignet, Benachteiligungen von Frauen im Berufsleben zu beseitigen. Sie kann zur Folge haben, dass eine Frau, die selbstständig tätig ist, gezwungen wäre, ihre berufliche Tätigkeit einzuschränken und die sich aus der Geburt ergebende Belastung allein zu tragen, ohne dass der Vater des Kindes sie entlasten könnte (vgl. EuGH v. 30.9.2010, a. a. O.).

Um die unterrepräsentierten weiblichen Beschäftigten mit Kindern zu binden, errichtet ein Unternehmen einen Betriebskindergarten, der eine Betreuung von Kleinkindern von zwei bis fünf Jahren zu günstigen Konditionen und angepasst an die Betriebszeiten ermöglicht. Zudem besteht folgende Regelung, die per Rundschreiben an die Mitarbeiter kommuniziert wird: „Die Einrichtung für die Kinderbetreuung steht grundsätzlich ausschließlich den weiblichen Mitarbeitern zur Verfügung, es sei denn, dass ein Notfall vorliegt, was die Geschäftsführung zu beurteilen hat.“ Mitarbeiter M möchte sein Kind ebenfalls im Betriebskindergarten unterbringen. Dies verwehrt man ihm mit der Begründung, dass männlichen Kollegen der Betriebskindergarten nur in Notfällen zur Verfügung stehe. Dieser habe nur begrenzte Kapazitäten und ein Notfall liege nicht vor, da der Vater nicht alleinerziehend sei und sich eines externen Kindergartens bedienen könne. M fühlt sich durch die Regelung in unzulässiger Weise diskriminiert. Trotz starker Ähnlichkeit dieses Beispielfalls mit dem zuvor, verneinte der EuGH hier eine unzulässige Diskriminierung. Entscheidend war für das Gericht, dass die Regelung des Unternehmens eine Ermessensentscheidung des Arbeitgebers für den Einzelfall vorsah und dass M auch Möglichkeiten hatte, sein Kind anderweitig unterzubringen (vgl. EuGH v. 19.3.2002, a. a. O.).

Im Übrigen gilt es, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG zu beachten, wenn ein Betriebskindergarten betrieben wird. Der Unternehmer darf zwar frei entscheiden, ob er Mittel für eine solche soziale Einrichtung bereitstellt oder nicht. Hat er sich aber dafür entschieden, muss der Betriebsrat über die Form, Ausgestaltung und Verwaltung mitbestimmen (BAG, Beschl. v. 10.2.2009 – 1 ABR 94/07, BAGE 129, S. 313).

8. Berücksichtigung religiöser Besonderheiten

Vergleichsweise unproblematisch ist hingegen unter Diskriminierungsgesichtspunkten die Berücksichtigung von religiösen Besonderheiten unterrepräsentierter Minderheiten, etwa das Einrichten von Gebetsräumen für muslimische Mitarbeiter.

Wichtig:

Gläubige Arbeitnehmer haben nach dem AGG keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber ihnen die Religionsausübung durch Bereitstellung eines Gebetsraumes ermöglicht – dieses Entgegenkommen wäre freiwillig. Das AGG verbietet allein die Ungleichbehandlung wegen der Religion; es gebietet aber nicht die Ungleichbehandlung zur Ermöglichung der religiösen oder weltanschaulichen Betätigung innerhalb des Arbeitsverhältnisses (Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, 4. Aufl., § 1 Rdnr. 55).

Eine Benachteiligung anderer Mitarbeiter wird jedenfalls i. d. R. nicht damit einhergehen, dass der Arbeitgeber einer Minderheit Gebetsräume zur Verfügung stellt. In derartigen Fällen haftet der Unternehmer also nicht gegenüber anderen Beschäftigten wegen unzulässiger Diskriminierung. Anders kann dies allenfalls dann sein, wenn auch andere Mitarbeiter Besonderheiten ihrer Religion im Arbeitsverhältnis ausüben wollen, die mit dem täglichen Gebet vergleichbar sind und ihnen dies verwehrt wird.

9. Höheres Gehalt für Minderheiten

Arbeitgeber sind grundsätzlich frei darin, mit welchem Teil der Belegschaft sie welche Gehälter vereinbaren. Ist der Arbeitgeber tarifgebunden, muss er sich freilich an die Mindeststandards der einschlägigen Tarifverträge halten. Zahlt er einer bestimmten Mitarbeitergruppe mehr als das tarifliche Gehalt oder ist er überhaupt nicht tarifgebunden und will gewisse Mitarbeiter gegenüber anderen bevorzugen, kann er den Dotierungsrahmen für diese Leistungen selbst bestimmen. Er kann auch frei entscheiden, welchen Zweck er mit den Leistungen verfolgen will. Mit der Bestimmung des Zwecks hängt wiederum die Bestimmung zusammen, für welchen Personenkreis die geplanten Leistungen gedacht sind. Der Betrieb darf deshalb auch darüber frei entscheiden, für welchen Kreis er eine zusätzliche Leistung bereitstellen will (ErfK/Kania, 14. Aufl., § 87 Rdnr. 109). Der Betriebsrat hat lediglich bei der näheren Ausgestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen.

Wichtig:

Die Grenze der freien Unternehmerentscheidung ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz. Zwar hat bei der Festlegung der Vergütung der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang. Dies gilt aber nur für individuell vereinbarte Arbeitsentgelte. Dagegen beansprucht der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz Geltung, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip festlegt (vgl. BAG, Urt. v. 21.3.2001 – 10 AZR 444/00). Stellt das Unternehmen z. B. eine Regel auf, nach der weiblichen Mitarbeitern grundsätzlich ein höheres Gehalt gezahlt wird als männlichen, bedarf es einer entsprechenden Rechtfertigung. Ansonsten können die männlichen Mitarbeiter ebenfalls entsprechende Leistungen aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verlangen. Sind Mitarbeiterinnen tatsächlich unterrepräsentiert, stellt ein höheres Gehalt durchaus eine geeignete Maßnahme dar, diese Zielgruppe verstärkt zu rekrutieren. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung ist also gegeben (vgl. BAG v. 21.3.2001. a. a. O.).

10. Fazit

Neben unternehmenspolitischen Motiven für Diversity Management gibt es sogar rechtliche Notwendigkeiten, die Belegschaft entsprechend den gesellschaftlichen Gegebenheiten zu diversifizieren. Zum einen verpflichtet § 12 AGG die Unternehmen, erforderliche Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft oder der Religion zu ergreifen. Zum anderen schützt kaum etwas besser vor dem Vorwurf der Diskriminierung etwa bei Beförderungen, als eine auf allen Hierarchieebenen diversifizierte Belegschaft. Positive Maßnahmen, wie Quotenregelungen oder andere Anreize, spielen dabei eine zentrale Rolle. Hierbei sollte man sorgsam prüfen, ob dadurch Mitarbeiter rechtswidrig diskriminiert werden, die nicht einer bisher unterrepräsentierten Gruppe im Betrieb angehören. Das AGG erlaubt in § 5 die Förderung unter gewissen Voraussetzungen.

Starre Quoten- und Vorrangregelungen, aufgrund derer Angehörige eines unterrepräsentierten Geschlechts bei gleicher oder sogar niedriger Qualifikation automatisch vorrangig eingestellt oder befördert werden, sind nicht zulässig. Anders ist die Rechtslage, wenn der Vorrang aber nicht unbedingt ist, sondern eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung etwaiger Härten erfolgen muss. Auch besondere Anreizsysteme für bestimmte Mitarbeitergruppen erfordern eine bisher bestehende Benachteiligung und müssen objektiv geeignet und angemessen sein, diese Benachteiligung zu beseitigen. Stellt das Unternehmen z. B. eine Regel auf, nach der weiblichen Mitarbeitern grundsätzlich ein höheres Gehalt gezahlt wird als männlichen, bedarf es ebenfalls einer entsprechenden Rechtfertigung.


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