21.11.2022 — Hannah Nielsen. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Der Traum vom autonomen Fahren ist schon seit Jahren in den Köpfen der Ingenieure. Während man zur Arbeit fährt, kann man entspannt die Nachrichten auf dem Smartphone lesen, ein Nickerchen machen oder das nächste Meeting planen. In den letzten Jahren wurde dahingehend viel geforscht und entwickelt, doch die Rechtslage und Zuverlässigkeit der Technik ließ noch einige Fragen offen. Wo also ist inzwischen der Stand der Technik angelangt?
San Francisco sagt nun: Volle Fahrt voraus! Waymo, ein Unternehmen, das zu Googles Mutterkonzern Alphabet gehört, hat kürzlich eine Genehmigung der CPUC (California Public Utilities Commission) erhalten, mit der die autonomen Robotaxis nun ohne Sicherheitsfahrer auf öffentlichen Straßen fahren dürfen. Schon 2020 war der Straßenverkehr der kalifornischen Stadt für zwei Uber-Fahrzeuge freigegeben, um einige Wochen lang ein Testprogramm der Software laufen zu lassen. Nach einem tödlichen Unfall 2018, bei dem eine Fußgängerin in Tempe, Arizona in der Dunkelheit angefahren wurde, ist diese Genehmigung jedoch nur für Fahrten bei hellem Tageslicht genehmigt worden. Uber stellte nach dem Unfall die Testfahrten ein, da nicht nur die Aufsichtsperson im autonomen Fahrzeug abgelenkt war, sondern auch ein Fehler in der Software gefunden wurde. Nachdem die Fehler korrigiert wurden, ist Uber inzwischen in mehreren US-Bundesstaaten wie Pennsylvania, Texas und der Hauptstadt Washington DC, aber auch im kanadischen Toronto mit selbstfahrenden Autos unterwegs.
Denn obwohl noch eine Genehmigung fehlt, um Gebühren für die Taxifahrten zu erheben, wenn kein Sicherheitsfahrer am Steuer sitzt, berichtet t3n, dass Waymo nicht nur im Personenverkehr auf einem guten Weg ist, sondern sich jetzt auch in der Logistikbranche ausprobiert. 220 Meilen pro Tag hat ein getesteter autonomer LKW zurückgelegt, um über 450.000 Kilogramm Bier von Dallas nach Houston zu transportieren. Und das erfolgreich!
Während die Taxis in San Francisco also vollkommen autonom agieren sollen, wird beim Taxi-Service „Waymo One“ in Phoenix, Arizona bereits seit 2020 auf einen Sicherheitsfahrer verzichtet, da die Fahrzeuge stattdessen von Flotten-Operatoren überwacht werden, die in kritischen Situationen Zugriff auf die Software haben und die Fahrzeuge anhalten und umleiten können.
Das Fraunhofer Institut für Kognitive Systeme hat das autonome Fahren in 5 Stufen klassifiziert:
Kilian Scharnagl fasste im Juni auf GIGA den aktuellen Stand der Technik zusammen und ging der Frage nach, wann Level 4 des autonomen Fahrens erreicht werden kann. Dabei stellt er fest, dass die Sensoren momentan die größte Hürde darstellen, da das Wetter mit Starkregen, Nebel, Dunkelheit und Schnee und Eis auf der Fahrbahn Risiken darstellt, die selbst das menschliche Auge so manches Mal auf die Probe stellt. Wie also können die Funktionen der Sensoren sichergestellt werden, sodass wir uns der Technik anvertrauen können? Und wie erkennt das System, dass es in Notfällen Polizei, Krankenwagen und Rettungsdienst vorbeilässt? Nvidia hat dahingehend ein Patent angemeldet, doch ob die Computer dann bereit sind, im Notfall gegen Straßenschilder oder auf Grünstreifen zu fahren, ist offen.
Während für das autonome Fahren also noch einige Fragen geklärt werden müssen, auch in Hinblick auf TÜV und Software-Updates, wurde im Mai 2022 durch den Bundesrat eine Verordnung für eine vollautomatische Parkfunktion nach Level 4 erlaubt. Dahingehend müssen jedoch einige Änderungsmaßgaben erfüllt werden.
Ein weiterer offener Punkt bei der Planung des autonomen Straßenverkehrs ist die teilweise mangelhafte Internetverbindung in Deutschland – mal wieder. Eine flächendeckende 5G-Infrastruktur ist laut Scharnagl eine Grundvoraussetzung für das autonome Fahren.
Auch das Fraunhofer IKS hat als technische Voraussetzung die maschinelle Wahrnehmung als einen der wichtigsten Punkte aufgeführt. So muss nicht nur die Umgebung in Echtzeit gescannt werden, auch müssen die GPS-Ortungssysteme und digitalen Karten als Informationsquelle des Fahrzeugs dienen und mit anderen Fahrzeugen untereinander kommunizieren, sodass die Daten durch die KI gesammelt und ausgewertet werden können, ein Modell der Umgebung erstellt werden und das System die Situationen für die nächsten Handlungen verstehen und umsetzen kann, sodass die Fahrzeugfunktionen wie Bremse und Blinker aktiviert werden.
Die Vernetzung der Verkehrsmodelle, die eine flächendeckende Internetverbindung voraussetzen, sollen hingegen für mehr Sicherheit, Effizienz und Ressourcenschonung sorgen, weshalb diese Car2X-Kommunikation als wichtiger Bestandteil für Level 5 angesehen wird und wiederum neue Unsicherheiten und Fragen aufwirft. Pro Minute fallen für die Verarbeitung der automatisierten Fahraktionen fünf Gigabyte Daten an. Und wenn die Fahrzeuge zukünftig bis zu zehn Sekunden im Voraus berechnen können sollen, wie sich der Verkehr rundherum entwickelt, müssen diese leistungsstarken aber auch ressourcenintensiven Systeme verkehrssicher und datensicher sein, denn nicht nur die Nutzer der autonomen Fahrzeuge müssen sich auf die Technik verlassen können, die vor Hackern geschützt sein muss, auch die anderen Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer müssen darauf vertrauen können, dass die Technik funktioniert und sie nicht in zusätzlicher Gefahr schweben.
Der ADAC hat in Hinblick auf die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmenden festgestellt, dass die Ursachen für 90 Prozent aller Crashs momentan auf menschliches Versagen zurückzuführen sind, sodass diese Zahlen durch eine Automatisierung zurückgehen sollten. Da sich jedoch über Jahre hinweg ein Mischverkehr etablieren wird, bevor technische Systeme den normalen Verkehr abgelöst haben, wird dieser Prozess sehr langwierig sein. Wie eine Studie des Prognos-Forschungsinstituts zeigt, ist ein Auto im Durchschnitt 20 Jahre im Einsatz, weshalb sich neue Technologien nur allmählich etablieren werden. Optimistisch betrachtet werden also erst im Jahr 2050 etwa 70 Prozent der Fahrzeuge auf der Autobahn komplett autonom unterwegs sein. Prognos unterscheidet außerdem zwischen Autopilot und Citypilot, der Fähigkeit, auch in der Stadt allein zu fahren. Der Sicherheitsaspekt greift also weniger durch das Ablösen der Fahraufgaben durch die Autonomie der Fahrzeuge als vielmehr durch die Assistenzsysteme wie Notbremsassistenten, die die menschlichen Reaktionen unterstützen sollen.
Während Amerika mit Waymo also eine Pferdestärke mehr eingebaut hat, ist deren Technik leider auch sehr teuer und extrem aufwendig – eine Chance für Deutschland, ein bisschen aufs Gas zu drücken. Momentan arbeiten rund 1700 Spezialisten auf dem BMW-Campus an einer Software-Algorithmik für hochautomatisiertes Fahren. Außerdem wurden zwei Datencenter mit 500 Petabyte Speicherkapazität errichtet, um Daten im realen Straßenverkehr zu erheben.
Auch Mercedes hat nun eine Software patentieren lassen – der „Drive Pilot“ ist als Staupilot auf der Autobahn in den neuen S-Klassen des Automobilherstellers zu finden. Sobald der Verkehr stockt und die Geschwindigkeit weniger als 60 km/h beträgt, kann man das Kommando per Knopfdruck an das Auto übergeben. Während das Auto selbstständig durch den Stau navigiert, kann der Verkehrsteilnehmende Nachrichten auf dem Autodisplay verfolgen, mit dem Handy spielen oder arbeiten. Einzige Ausnahme: Mieses Wetter. Da ab Level 3 des autonomen Fahrens der Hersteller die Verantwortung trägt, streikt der Drive Pilot bei Regen, niedrigen Temperaturen und bei Nacht und Nebel. Auch ist die Ablenkung des Fahrzeugführenden nur eingeschränkt zulässig. Reden, Lesen, Surfen ist kein Problem, Schlafen hingegen absolutes Tabu, da die Steuerung jederzeit mit maximal zehn Sekunden Vorlaufzeit wieder übernommen werden muss. Sollte diese Regelung nicht eingehalten werden, hält das Fahrzeug im Extremfall am Straßenrand, setzt den Warnblinker und schaltet sich ab.
VW plant auf Grundlage des Bulli ID. Buzz ein Fahrzeug mit höchstem Automatisierungsgrad, das ab 2025 als Ridesharing-Fahrzeug in Hamburg unterwegs sein soll. Die Entwicklung mit Argo AI wurde kürzlich beendet, das Ziel soll trotzdem erreicht werden – denn eine 1000-Fahrzeug starke Flotte von VW und Moia ist in Hamburg das Ziel.
Innerhalb Deutschlands konkurrieren die Automobilhersteller um den ersten Platz im Pferderennen, denn Intel und Mobileye planen einen Ride-Hailing-Dienst, mit dem man über eine App Fahrten kaufen kann – ähnlich der Uber-Dienstleistung, die eine Tür-zu-Tür Lösung anbieten. Doch nicht nur für den individuellen Personenverkehr sind Lösungen in Planung. Auch der Güter- und Personentransport ist mit autonomen Shuttles in der Planung für die Zukunft des autonomen Fahrens.
Quellen und Hintergründe:
Bild: mentatdgt (Pexels, Pexels Lizenz)