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"Baukultur muss wehtun"

11.11.2010  — none .  Quelle: none.

Diskurs über die Nachkriegsmoderne nötig

Selten erfahren Bauwerke einer gerade zurückliegenden Epoche große Wertschätzung. Derzeit ergeht es vielen bedeutsamen Bauten der Nachkriegsmoderne so. 50 Jahre wurden die Gebäude sich selbst überlassen. Bauerhaltung, Instandsetzung, Renovierung oder Sanierung erfolgten so gut wie nicht. Deshalb sei es wichtig über diese Themen in der Öffentlichkeit vehementer zu streiten, wie es derzeit bei Stuttgart 21 der Fall ist, sagt Professor Michael Braum von der Bundesstiftung Baukultur.


Beethovenhalle in Bonn: Architektur muss nicht allen gefallen
Foto: pixelio.de/Torsten Born
"Baukultur muss wehtun", so Braum beim Netzwerktreffen mit Architekten und Publizisten im Kölner "Kulturzentrum am Neumarkt", das in Kooperation mit dem Haus der Architektur veranstaltet wurde. Von einer Baukultur als Gesamtkunstwerk sei man noch weit entfernt. Das zeige die Baukultur des Alltags.

"Sind es die eingezäunten Straßenbahntrassen, die miserablen Brücken, die unsäglichen, dem ordnungsrechtlichen Überregulierungswahn entsprechenden Schilderwälder, die Lärmschutzwände, die wärmegedämmte Fassaden, unsere photovoltaischen Dachlandschaften oder einfach nur unsere Bahnhöfe und Bahnhofsvorplätze, um nur einige ganz offensichtlichen baukulturellen Desaster zu nennen", sagte Braum in seiner Eröffnungsrede.

Kommunikation und Beteiligung

Man muss bessere Wege finden, die Öffentlichkeit, die Baukultur alltäglich nutzt, mitzunehmen. "Die Möglichkeiten reichen dabei von einer transparenten und frühzeitigen Kommunikation bis zur begleitenden aktiven Beteiligung. Wir müssen eine Akzeptanz dafür schaffen, Neues zu bauen, Altes zu bewahren und Vorhandenes zu pflegen", so das Plädoyer des Stiftungspräsidenten.

Man muss die Nachkriegsmoderne weiterdenken und nicht verdrängen, fordert Jörg Jung von der Initiative "Mut zur Kultur". Der öffentliche Diskurs über die Zukunft von Bauten, die zur Identität der Bundesrepublik Deutschland gehören, ist wichtig. Dazu zählt das Schauspielhaus in Köln und die Beethovenhalle in Bonn.

Das von Wilhelm Riphahn geschaffene Ensemble am Offenbachplatz in Köln sollte eigentlich völlig niedergerissen werden. Es gab Überlegungen, die in Richtung Sidney Oper gingen. "Hier war ein hohes Engagement der Bürgergesellschaft vonnöten, um diese Planungen zu verhindern", sagt Jung.

"Durch den Einsturz des Stadtarchivs im vergangenen Jahr war die Stimmung in der Stadt aufgeladen und man war sauer auf die Stadtverwaltung. Und auch beim Schauspielhaus und der Oper wurde deutlich, dass die Verwaltung ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Die Stimmung in Köln kippte und immer mehr Menschen wurde bewusst, wie wichtig die Bewahrung und der Schutz des kulturellen Erbes sind."

Sanierung billiger

Zudem hat sich herausgestellt, dass die Sanierung weniger kostet als ein Neubau. Das Beispiel Köln zeigt, wie wichtig es ist, Baukultur zu verstehen und zu vermitteln. Auch die Sprödigkeit der Architektur in der Nachkriegszeit hat enorme Qualitäten, meint Jung. Man muss die Sprache der Architekten der 50er- und 60er-Jahre verstehen, um die Konzepte auch lesen zu können. Hier kann man Qualitäten erkennen, die es heute gar nicht mehr gibt - etwa bei der Oberflächenbeschaffenheit von Texturen.

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Nüchternheit in der Gestaltung

"Es geht um eine Nüchternheit in der Gestaltung der Architektursprache, die sich gegen den Monumentalismus der 30er- und 40er-Jahre wendet. Nach dem Krieg suchte die Bundesrepublik auch ein neues Gesicht und eine neue Identität. Mit so etwas müssen die politischen Entscheider schlichtweg anders umgehen. Es ist nicht zu rechtfertigen, einen Bilbao-Effekt zu erzeugen und aus touristischen Erwägungen alles platt zu machen. Deshalb ist es wichtig, die Baudenkmäler der Nachkriegszeit zu erhalten, auch wenn sie uns teilweise sperrig vorkommen", fordert Jung.

In Bonn gibt es auch Menschen, die die Beethovenhalle hässlich finden und deshalb für einen Abriss plädieren. "Solche persönlichen Befindlichkeiten können nicht der Maßstab sein, um die Baukultur einer Gesellschaft zu bestimmen", betonte der Kölner Journalist. Auch bei der Beethovenhalle versteht es Jung nicht, dass man über einen Abriss auch nur ansatzweise diskutiert.

Selbstverständnis der Bundesrepublik

"Dieser Bau als Festsaal und sogar als politischer Versammlungsort spricht in seiner Sprache von einem eindeutigen Selbstverständnis der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Da kann man nicht einfach hingehen und einen schicken Neubau planen. Jedenfalls nicht an dieser Stelle, wo es um den Gründergeist unserer Republik in der ehemaligen Bundeshauptstadt geht", so Jung. Das Festspielhaus könne ja gebaut werden. Aber nicht am Ort der Beethovenhalle.

Ein ermutigendes Zeichen ist es für Jung, dass die studentische Initiative Beethovenhalle mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz 2010 ausgezeichnet wurde. Die Preisverleihung findet am 8. November in Kiel statt. (Gunnar Sohn)

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Quelle: pressetext.redaktion
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