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Was bedeutet die Digitalisierung für Blinde?

11.10.2019  — Jasmin Dahler.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Jedes Jahr erblinden in Deutschland circa 10.000 Menschen. Die Brailleschrift ist für Betroffene auch noch im Digitalzeitalter ein wichtiges Hilfsmittel. Doch nicht alle technischen Errungenschaften sind barrierefrei.

Das Internet ist allgegenwärtig und verspricht Informationen, Unterhaltung, Konsum, Vernetzung, Kommunikation – zumindest für Sehende. Wenn man die Website, die man ansurfen will, nicht sehen kann, was bleibt dann noch von den Möglichkeiten des Internets übrig?

Wie ist das, wenn man blind ist?

Technisch gesehen bedeutet blind nicht gleich blind. Als blind wird ein Mensch bezeichnet, der weniger als 2 % von dem sehen kann, was Menschen ohne Sehfehler wahrnehmen können. Einige blinde Menschen können nur einen ganz kleinen Ausschnitt sehen, sodass sie sogar lesen können, andere können nur hell und dunkel unterscheiden. Personen, die gar keinen Sehrest haben, sehen nichts. Auch kein schwarz.

Unsere Welt ist darauf ausgelegt, dass wir bestimmte Dinge sehen. Die Abfahrtszeiten von Zügen zum Beispiel, die Farben von Ampeln, die Verpackung eines Produktes – unsere Augen sind den ganzen Tag aktiv. Blinde Menschen müssen lernen, in dieser Welt zurechtzukommen, ohne zu sehen. Dazu benutzen sie verschiedene Hilfsmittel wie den weißen Stock, Blindenhunde, sprechende Uhren oder Vorlesegeräte. Besonders wichtig ist dabei die Brailleschrift.

Brailleschrift

Louis Braille verletzte im Alter von drei Jahren im Spiel mit einem Werkzeug ein Auge so stark, dass dessen Entzündung auch das zweite Auge erfasste und er erblindete. Im Alter von 10 Jahren besuchte Louis Braille die erste Blindenanstalt der Welt, der Institution Royale des Jeunes Aveugles (Königliches Institut für junge Blinde). Später arbeitete er als Hilfslehrer in diesem Institut und arbeitete nebenbei zielstrebig an der Entwicklung einer brauchbaren Punktschrift für Blinde. Grundlage dafür war ein Schriftsystem auf 11 Punkten, welches eigentlich Soldaten die Nachrichtenübermittlung auch im Dunklen ermöglichen sollte. Louis Braille vereinfachte diese Schrift. 1825 bestand das für Blinde geeignete System aus sechs erhabenen Punkte, was insgesamt 63 Punktkombinationen zulässt. Seit 1873 ist die Brailleschrift nach Beschluss des 1. Blindenlehrerkongresses in Wien im deutschsprachigen Raum verbindlich.

Bücher wurden nun mühsam in die Brailleschrift übersetzt, damit Blinde die Möglichkeit hatten, diese zu lesen. Damit ergab sich nur ein beschränktes Angebot an Publikationen. Am Computer geht das einfacher. Unterhalb der Computer-Tastatur kann für 6.000 Euro eine Braillezeile angebracht werden. Auf dieser Zeile werden winzige Stifte nach oben gedrückt. Sie zeigen das Brailleschriftbild an, sodass es tastbar ist. Wichtig ist dabei nur, dass das Dokument am Computer, welches gelesen werden soll, als Textdatei abgespeichert wurde. Grafiken und Bilder erkennt das Programm nicht.

Eine barrierefreie Internetseite gibt Bildern daher im HTML-Code einen sachlichen Alternativtext mit, der beschreibt, was auf dem Bild zu sehen ist. Dies kann wiederum von den Programmen für Blinde ausgelesen werden.

Dabei navigiert sich ein Blinder nur mit der Tastatur durch das Internet. Wie beim Zehnfingersystem orientieren sich diese dabei an der Erhebung der F- und J-Taste. Auch auf anderen Tastengeräten, wie zum Beispiel dem Bankautomaten, finden sich solche Erhebungen.

Apps eine Hürde?

Smartphones und Tablets erscheinen hingegen mit ihrem Touchscreen als Hürde, die Blinde von dem Rest der Gesellschaft trennen. Immerhin funktioniert heutzutage alles über Apps. Doch glücklicherweise sind Programmierer und Entwickler nicht so weltfremd, wie manch einer vielleicht glauben mag. Durch VoiceOver-Funktionen können sich Blinde durch das Menü des Smartphones navigieren. Apps zur Farberkennung oder Bilderkennung unterstützen diese Personen sogar, sich besser zurechtzufinden. So muss nicht mehr umständlich eine fremde Person angesprochen werden, in der Hoffnung, dass diese die richtige Auskunft über das in der Hand liegende Produkt gibt, sondern eine App sagt deutlich, ob es sich dabei um den Pfirsich oder den Erdbeerjoghurt handelt.

Dabei ist aber auch nicht jede App, die für Blinde gedacht war, für die individuelle Lebensgestaltung hilfreich. Ständig angefiept oder anvibriert zu werden, kann irritierend sein. Insbesondere für Personen, die spät erblindet sind, kann die Kompensation zur Erfassung einer Information, die sich erheblich vom visuellen Eindruck unterscheidet, zu Schwierigkeiten führen.

Auch sind Apps und Geräte, die ursprünglich auf Sehende ausgerichtet sind, eine Hürde. So findet sich nicht auf jedem Smartphone ein vorinstallierter Screenreader, wodurch diese von anderen für die Blinden eingerichtet werden müssen. In den USA verpflichtet das Behindertengleichstellungsgesetz Hersteller dazu, barrierefreie Software bereitzustellen. In Deutschland hingegen ist das Privatangelegenheit der Betreibenden.

Dabei kann bereits eine an ein Mobiletelefon angepasste Seite eine Erleichterung bei der Navigation darstellen. Nicht nur für Blinde. Große, unübersichtliche Seiten mögen für manchen Webdesigner hübsch wirken, aber die Funktion geht verloren und Screenreader stoßen bei einem unstrukturierten Aufbau an ihre Grenzen.

Behörden machen es schwer

Apps sind also ambivalent und auch andere Trends der Digitalisierung können eher stören als helfen. Die Idee des E-Governments, Behördengänge digital erledigen zu können, bringt unnötig viele komplexe Formulare ins Internet. Auf jeder Ebene folgt eine Unterebene, in der noch ein Häkchen gesetzt werden muss oder noch eine Zahl verlangt wird. Was für Sehende schon anstrengend genug ist, ist durch die Unübersichtlichkeit für Blinde eine unnötige Herausforderung und Fehleingaben zu finden schier unmöglich.

Diese Unterebenen-Problematik lässt sich auf alle Onlineangebote übertragen. Bleibt der Fokus auf den relevanten Inhalte einer Seite und schiebt unwichtige Dinge in den Hintergrund, ist dies nicht nur für Blinde einer Erleichterung, sondern für alle Nutzer.

Wie kann die Digitalisierung Blinden helfen?

Die Digitalisierung kann nur hilfreich sein, wenn die Programmierer und Designer von neuen technischen Geräten und Programmen barrierefrei denken. Insbesondere da Blinde und Sehgeschädigte zu den intensivsten Nutzern des Internet gehören. Was können Sie also mindestens tun, damit Ihre Unternehmensseite barrierefrei ist?

Die graphische Benutzeroberfläche: Normaler Fließtext stellt in der Regel kein Problem für Screenreader da. Solange die Struktur stimmt, denn was für sehende Nutzer parallel erscheint, wird für den Nutzer des Screenreaders linear angeordnet. Es müssen erst alle Elemente erfasst werden, damit eine Orentierung auf der Seite stattfinden kann. Schwierig wird es hier bei komplexen Angeboten. Stellen Sie sich ein Kundenforum vor, indem jeder seine Fragen stellen kann und in dem auch andere Kunden auf die Fragen antworten können. Die klassische Baumstruktur ermöglicht es Diskussionstränge zu erkennen. Für den Blinden ist das allerdings nicht erkennbar. Insbesondere wenn Beiträge nur einzeln angezeigt werden. Der Screenreader muss dann bei jedem Aufruf die Seite neu einlesen und beginnt am Anfang der Seite. Der Blinde ist genötigt bei jedem Seitenaufruf nach dem Anfang des Beitrags zu suchen, ohne zu wissen, ob sich aus dem Beitrag tatsächlich ein Mehrwert ergibt. Günstiger sind die Newsboards, wo die Antworten untereinander angeordnet werden, hier ist zumeist auch für den Sehenden nicht erkennbar, wer auf wen geantwortet hat.

Eine andere Möglichkeit stellt ein Austausch über E-Mails da. Auf der Plattform Blindzeln gibt es über 70 Mailinglisten zu so verschiedenen Themen wie Kochen, Lesen oder Blindenhunden. Allgemein kann diese Seite, trotz ihres altmodischen Touch eine gute Orentierung bieten, wie eine barrierefreie Seie aufgebaut sein sollte.

Auch Shopping-Angebote und Online-Auktionen können durch ihren komplexen Aufbau zu Schwierigkeiten führen. Grundlegende Informationen kann der Screenreader zwar lesen, aber die Interaktion kommt oft an ihre Grenzen, wenn es darum geht Daten oder Zahlungsmodalitäten einzugeben. Grundsätzlich sollte jede Website auch ohne den Gebrauch einer Maus, also nur mit der Tastatur steuerbar sein.

Probieren Sie einfach einen kostenlosen Screenreader aus, um ein Gefühl für den Aufbau Ihrer Website zu bekommen.

Formulare: Formulare sind überall im Internet zu finden. Ob nun bei Foren, Blogs, Jobangeboten, Fahrplanauskünften, diversen Ämtern oder Online-Shops. Das Gute ist, HTML bietet seit Jahren viele Elemente für barrierefreie Formulare. Das Schlechte, kaum ein Webdesigner nutzt diese. Die technischen Grundfunktionen eines Formulars – erfassen, ausfüllen und abschicken – müssen mit allen möglichen Mitteln der Ein- und Ausgabe gelingen. Daher müssen Anbieter von Webseiten assistierende Techniken wie z.B. Screenreader, Sprachsteuerung oder Spezialtastaturen berücksichtigen. Stellen Sie sich oder Ihrem Webdesigner daher mindestens folgende Fragen:

  • Sind alle Inhalte und Funktionen per Tastatur erreichbar und bedienbar?
  • Sind alle Label korrekt verknüpft?
  • Haben alle Radiobuttons einer Gruppe das gleiche name-Attribut?
  • Werden durch Navigationsbewegungen Formulare ungewollt verändert oder sogar abgeschickt?
  • Ist alles auch ohne Farbe erkennbar?
  • Gibt es eine logische Abfolge der Elemente?

Die Zielgruppe einbinden: Wenn Sie wirklich sicher gehen wollen, dass Ihre Website barrierefrei ist, kommen sie nicht drumherum Blinde zu befragen. Denn nur sie wissen, was sie wirklich brauchen, um sich auf einer Seite gut zurechtzufinden.

Quellen und Hintergründe:

Bild: Soumil Kumar (Pexels, Pexels Lizenz)

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