12.06.2017 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Udo Cremer.
Die Rückabwicklung eines noch nicht beiderseits vollständig erfüllten Kaufvertrags ist aus der Sicht des früheren Veräußerers keine Anschaffung der zurückübertragenen Anteile, sondern sie führt bei ihm zum rückwirkenden Wegfall eines bereits entstandenen Veräußerungsgewinns; beim früheren Erwerber liegt keine Veräußerung vor.
Die Klägerin und ihr im Januar 2006 verstorbener Ehemann M werden in den Streitjahren (2004 und 2006) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Streitig ist zum einen, in welcher Höhe M (2004) im Zusammenhang mit Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto einer Kapitalgesellschaft einen Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG erzielt hat. Zum andern ist streitig, in welcher Höhe die Klägerin (2006) aus der Veräußerung von Geschäftsanteilen einen Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG erzielt hat. Beides hängt davon ab, ob bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns jeweils die historischen Anschaffungskosten der Anteile zugrunde zu legen sind oder ob M sämtliche Anteile im Jahr 2001 nach einer gescheiterten Veräußerung zu höheren Anschaffungskosten zurückerworben hat.
M war ursprünglich mit drei Geschäftsanteilen zu insgesamt etwas mehr als 13 % am Stammkapital der A-GmbH beteiligt. Die historischen Anschaffungskosten für die Anteile betrugen zusammen 800.000 DM (409.033,50 €). M war außerdem mit zwei Geschäftsanteilen zu insgesamt 50 % am Stammkapital der B-GmbH beteiligt. Die historischen Anschaffungskosten für diese Geschäftsanteile betrugen zusammen 250.000 DM (127.822,97 €). Mit Vertrag vom 29. Dezember 1998 veräußerte und übertrug M zwei der drei Geschäftsanteile an der A-GmbH sowie seine beiden Anteile an der B-GmbH an die D Holding AG (D) mit Sitz in ... Der Kaufpreis betrug 4.940.000 DM (2.525.781,89 €) und 15.504.300 DM (7.927.222,71 €).
D gab am 29. Dezember 1998 außerdem zugunsten von M ein unwiderrufliches Angebot zum Erwerb des dritten Geschäftsanteils an der A-GmbH ab. Das Angebot war ursprünglich befristet. Es wurde von D mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 31. März 2001. Zur Abwendung drohender Zahlungsunfähigkeit der A-GmbH schlossen M und D im Mai 1999 ein Stillhalteabkommen, in dem sich M zur Stundung des Kaufpreises verpflichtete. D verpflichtete sich im Gegenzug, sich bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises jeder Einflussnahme auf die Geschäftsführung der A-GmbH zu enthalten. D durfte die Geschäftsanteile jedoch zu ihren Gunsten verpfänden, was auch geschah. Die Stundung des Kaufpreises war befristet. M verlängerte sie jedoch mehrfach, zuletzt bis zum 31. März 2001. D entrichtete den vereinbarten Kaufpreis nicht.
Am 30. März 2001 vereinbarten M und D die Rückabwicklung sämtlicher Verträge (sofortige Rückabtretung sämtlicher Anteile an der A-GmbH und B-GmbH an M, Wegfall der Zahlungsverpflichtungen der D gegenüber M, Widerruf des Angebots der D zum Erwerb des dritten Geschäftsanteils an der A-GmbH). Dieser Vertrag wurde wie vereinbart durchgeführt. Im Jahr 2004 erhielt M gemäß Beschluss vom 7. Januar 2004 eine Ausschüttung aus dem steuerlichen Einlagekonto der A-GmbH in Höhe von 3.858.498 €. Bereits im Jahr 2002 hatte M Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto der A-GmbH in Höhe von 169.300 DM (86.561,72 €) erhalten. M ist beerbt worden von seiner Ehefrau, der Klägerin, und den drei gemeinsamen Töchtern. Im Februar 2006 setzten sich die Miterben über den Nachlass auseinander. Die Klägerin erhielt unentgeltlich u.a. die Geschäftsanteile an der A-GmbH und an der B-GmbH. Mit Vertrag vom 7. Juli 2006 veräußerte die Klägerin sämtliche Anteile an der A-GmbH und der B-GmbH. Der Veräußerungserlös betrug 10.431.893,38 €, die Veräußerungskosten beliefen sich auf 107.110,63 €.
Im Einkommensteuerbescheid der Klägerin für 1998 ist ein Veräußerungsgewinn aus dem Vertrag vom 29. Dezember 1998 nach dessen Rückabwicklung nicht mehr erfasst. Der Bescheid ist bestandskräftig. In ihrer Einkommensteuererklärung für 2004 machten die Klägerin und M keine Angaben zu den Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto bei der A-GmbH. Der Einkommensteuerbescheid für 2004 erging zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. In ihrer Einkommensteuererklärung für 2006 erklärte die Klägerin einen Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung der Geschäftsanteile an der A-GmbH und der B-GmbH in Höhe von 1.886.734 €.
In der Zeit von April 2008 bis März 2009 führte das FA eine Außenprüfung bei der Klägerin als Rechtsnachfolgerin nach M u.a. für die Einkommensteuer 2002 bis 2006 durch. Der Prüfer vertrat die Auffassung, die Rückabwicklung der Verträge vom 29. Dezember 1998 im März 2001 wirke auf den Zeitpunkt der Veräußerung (Dezember 1998) zurück. Die in den Streitjahren 2004 und 2006 erzielten Veräußerungsgewinne seien deshalb unter Berücksichtigung der historischen Anschaffungskosten zu ermitteln. Danach habe M im Jahr 2004 einen Veräußerungsgewinn von 3.536.026,22 € erzielt. Ein Teil davon (1.730.100 €) sei allerdings vorrangig als verdeckte Gewinnausschüttung zu erfassen (Veräußerungsgewinn danach: 1.805.926,22 €). Die Klägerin habe 2006 einen Veräußerungsgewinn von 10.196.959,78 € erzielt (steuerpflichtig: 5.098.479 €). Dem folgte das FA, änderte den Einkommensteuerbescheid für 2004 gemäß § 164 Abs. 2 AO und erließ den Einkommensteuerbescheid für 2006 mit entsprechendem Inhalt. Die Einsprüche hatten keinen Erfolg. Das FG hat die Klage abgewiesen.
Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (BFH Urteil vom 6.12.2016, IX R 49/15). Das FG hat die in den Jahren 2004 und 2006 erzielten Veräußerungsgewinne zu Recht unter Berücksichtigung der historischen Anschaffungskosten ermittelt. Die Rückabwicklung der Verträge von Dezember 1998 im März 2001 ist ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung und keine Anschaffung. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der in den Streitjahren (2004 und 2006) geltenden Fassung gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war.
Als Veräußerung gilt auch die Ausschüttung oder Zurückzahlung von Beträgen aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S. des § 27 KStG, es sei denn, dass die Bezüge zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen gehören. Veräußerungsgewinn ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Bei einer Ausschüttung oder Rückzahlung aus dem steuerlichen Einlagekonto ist als Veräußerungspreis der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft anzusehen. Hat der Veräußerer den Anteil unentgeltlich erworben, so sind als Anschaffungskosten des Anteils die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers maßgebend, der den Anteil zuletzt entgeltlich erworben hat. Unstreitig ist danach ferner, dass die von M erhaltenen Zahlungen aus dem steuerlichen Einlagekonto der A-GmbH mit dem Nominalwert zu bewerten sind und dass die Klägerin bei der Ermittlung des von ihr 2006 erzielten Veräußerungsgewinns die Anschaffungskosten des M abziehen darf, da sie dessen Geschäftsanteile im Wege der Erbauseinandersetzung unentgeltlich erworben hat.
Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB sämtliche Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben, ihn also von der fremden in die eigene Verfügungsmacht zu überführen. Eine Übertragung der Verfügungsmacht findet zwar auch statt, wenn ein teilweise erfüllter Veräußerungsvorgang später rückgängig gemacht wird. In der Rechtsprechung des BFH ist jedoch anerkannt, dass die Rückabwicklung eines beiderseits noch nicht vollständig erfüllten Kaufvertrags keine Anschaffung ist, soweit das spätere Ereignis mit steuerlicher Wirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirkt. Die Rückübertragung der Verfügungsmacht stellt in diesem Fall keinen gesonderten marktoffenbaren Vorgang, sondern nur einen notwendigen Teilakt im Rahmen der Rückabwicklung dar. Nach diesen Maßstäben hat das FG ohne Rechtsfehler die im März 2001 zwischen M und D vereinbarte Rückabwicklung der Verträge vom 29. Dezember 1998 als materiell zurückwirkendes Ereignis behandelt und eine Anschaffung im Jahr 2001 verneint.
Der Autor:
Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.
Die aktuellen Seminartermine von Udo Cremer finden Sie hier »