20.09.2017 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Willis Towers Watson.
Das lässt sich naturgemäß nicht in jedem Detail abschätzen. Aber klar ist, dass das Sparen für das Alter eine gewaltige Herausforderung für unsere Gesellschaft ist, die allen Vor- aussagen nach nicht geringer wird. Die staatlichen Möglichkeiten auf ein auskömmliches Einkommen im Alter werden künftig noch stärker beschränkt sein – man denke an den vorgezeichneten Rückgang des gesetzlichen Rentenniveaus. Der Niedrigzins tut ein Übriges. Daher stellt sich die Frage wie Sparen für das Alter sinnvoll organisiert werden kann.
Aus meiner Sicht besitzt die betriebliche Altersversorgung (bAV) dabei klare Vorteile. Denn sie ist eine Vorsorgeform, in der Arbeitgeber Mittel von vielen Arbeitnehmern (ohne eigene Gewinnerzielungsabsicht) bündeln. Daraus entstehen besonders effiziente Lösungen. Ich sehe daher am Horizont keine andere Lösung, die diese Vorteile miteinander verbinden kann. Daher wird die bAV in zehn bis 15 Jahren eine eher noch größere Rolle spielen.
Die Stärkung der bAV ist grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung und die Wahrscheinlichkeit, dass das BRSG eine positive Wirkung entfalten wird, ist hoch. Allerdings – und das ist ein Wermutstropfen – wurden bei der Reform die Probleme der bestehenden bAV nicht angepackt, etwa der weiterhin unrealistisch hohe Rechnungs- zins, der für die steuerliche Bewertung der Pensionsverpflichtungen anzusetzen ist, oder die Doppelverbeitragung in der Sozialversicherung. Hier besteht weiterer Reformbedarf.
Kurz- und mittelfristig erwarte ich positive Impulse aus der zusätzlichen staatlichen Förderung, der Integration von Riester-Sparplänen in die bAV, vor allem aber daraus, dass Betriebsrenten bis zu einem bestimmten Betrag anrechnungsfrei in Hinsicht auf die staatliche Grundsicherung bleiben. Häufig ist das ein psychologisches Hemmnis dafür, im Rahmen der bAV für das Alter zu sparen. Mit der Einführung der reinen Beitragszusage wird zudem eine Option geschaffen, die vor allem bei kleineren und mittleren Unternehmen die Hemmschwelle abbaut, in die bAV einzusteigen – ganz einfach, weil nun auch formal kein Haftungsrisiko mehr entsteht.
Nein. Zunächst stehen die Sozialpartner vor der Herausforderung, die neuen Möglichkeiten in der Praxis umzusetzen. Bis sich beide Seiten auf eine Lösung geeinigt, passende reine Beitragszusagen entwickelt und die dafür notwenigen Einrichtungen auf die Beine gestellt haben, wird einige Zeit vergehen. Und dann dauert es nochmals einige Zeit, bis die angesammelten Mittel eine Größenordnung erreichen, ab der tatsächlich signifikante Skaleneffekte realisiert werden können.
Das ist die zweite Herausforderung. Sie besteht darin, die Arbeitnehmer davon zu überzeugen, dass Vorsorgelösungen, die keine Garantien vorsehen, perspektivisch höhere Leistungen versprechen als bisherige Konzepte, weil für Garantien beträchtliche Kosten anfallen. Das ist sicherlich eine kommunikative Herausforderung, die aber im Zusammenwirken der Sozialpartner durchaus gemeistert werden kann (Anm. der Redaktion: siehe Beitrag auf S. 13).
Darüber hinaus gilt es, den Willen der Arbeitnehmer, auf Vergütung für zukünftige Versorgungsleistung zu verzichten, in die Tat umzusetzen. Rund 43 Prozent der Arbeitnehmer sind durchaus bereit, Eigenbeiträge für ihre bAV zu leisten; ein Drittel ist unentschlossen. Das ist durch Studien wie den Global Benefit Attitudes Survey von Willis Towers Watson belegt. Tatsächlich beobachten wir aber, dass die Umwandlungsquoten über die vergangenen Jahre hinweg weit unter dem liegen, was die Umfrageergebnisse erwarten lassen.
Dieser Herausforderung begegnet das neue Gesetz – leider nur auf tarifvertraglicher Basis – durch Opting-out. Damit werden die Interessen der Arbeitnehmer grundsätzlich sehr gut getroffen – 72 Prozent der Teilnehmer von Opt- ing-out-Pensionsplänen sind mit dieser Lösung sehr zufrie- den; ein weiteres Viertel hat zumindest nichts dagegen, wie der Survey zeigt. Die Praxisbeispiele von Unternehmen, die Opting-out bereits im Rahmen ihres bAV-Modells umgesetzt haben – eines davon übrigens Gewinner des Deutschen bAV-Preises 2017 – sind in dieser Hinsicht sehr ermutigend.
Wenn wir über die Wohlfahrtsgewinne durch Technologie und daraus resultierend die zukünftige Bedeutung von Arbeit sprechen, stellt sich in einem von Zukunftsforschern aufgestellten radikalen Szenario die Frage, ob Menschen in einigen Jahrzehnten überhaupt noch einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehen müssen, weil jeder von einem Grundeinkommen leben kann, das von Maschinen erwirtschaftet wird. Schon jetzt lösen sich gewohnte feste Arbeitsformen zum Teil auf: Wer heute Freelancer ist, arbeitet morgen vielleicht fest angestellt und entscheidet sich später eventuell für einen Teilzeit-Job. Damit wird sich die Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung grundlegend wandeln – und das wirft neue Fragen für die bAV auf.
Bereits in den kommenden Jahren ergibt sich aber für die bAV durch den technologischen Fortschritt erhebliches Potenzial. Zum einen dadurch, dass automatisierte Prozesse rund um die Schnittstellen zwischen Unternehmen, angelagerten Dienstleistern und den verschiedenen Providern die Effizienz der bAV erheblich steigern können. Zum zweiten – und das ist viel wichtiger – durch Schnittstellen, die Mitarbeitern einfacher, individueller und konkreter den Stand ihrer bAV-Leistungen jederzeit online vor Augen führen, wie dies von einigen Unternehmen heute schon angeboten wird. Künftig werden die Mitarbeiter auf dieser Basis wahrscheinlich sogar ihre gesamten Altersvorsorgeanwartschaften – einschließlich staatlicher Renten- und betrieblicher Anwartschaften bei Vorarbeitgebern – einsehen können und mit individueller technologiegestützter Beratung ihre bAV noch besser und fundierter an ihre persönliche Lebenssituation anpassen können – etwa mit Blick auf Höhe der Eigenbeiträge, Absicherungsumfang und Risikopräferenz. Die nordischen Länder zeigen schon heute, was hier mit technologischer Unterstützung machbar ist. Für die Menschen bedeutet das eine erhebliche Vereinfachung, weil sie konkret vor Augen haben, was ihnen im Alter zur Verfügung steht und sie so ableiten können, was sie noch sparen müssen.
Bei einer bAV ohne Garantien bemisst sich Attraktivität noch stärker als heute daran, wie gut sich das Vorsorgemodell durch Wahlmöglichkeiten an die individuellen Mitarbeiterpräferenzen anpassen lässt. Die Nase vorn haben werden die Anbieter, die dafür passende Konzepte bieten und über entsprechende Pensionseinrichtungen mit hocheffizienten Verwaltungssystemen verfügen, um solch teilweise kleinteiliges Administrationsgeschäft zu adäquaten Kosten abzuwickeln. Ebenso wesentlich wird sein, wie gut der Anbieter die „Endverbraucher“, also die Mitarbeiter, durch Kommunikation und individuelle Beratung – sei es durch Menschen oder durch Robo-Advice – bei der persönlichen Vorsorgeplanung unterstützen kann.
Dr. Thomas Jasper verantwortet bei Willis Towers Watson den Bereich Retirement (bAV-Beratung) in der Region Western Europe. Jasper verfügt über umfassende Beratungserfahrung in den Bereichen Finanzierungsstrategie, kapitalmarktorientierte Vergütungsmodelle sowie Gestaltung von Systemen der betrieblichen Altersversorgung. Darüber hinaus hat er eine breit gefächerte Erfahrung in der Betreuung von internationalen Großunternehmen sowie namhaften Vertretern des deutschen Mittelstands.