05.05.2021 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans Böckler Stiftung.
Vor allem bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch weniger Zeitverlust und CO2-Ausstoß durch Pendelei oder eine Linderung regionaler Fachkräfteengpässe, weil Beschäftigte nicht am Arbeitsort wohnen müssen. Forscherinnen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) und des Hugo-Sinzheimer-Instituts (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung halten ein Recht auf mobiles Arbeiten in Zukunft daher für notwendig. In einer neuen Studie erklären die Rechts- und Sozialwissenschaftlerinnen die Gründe und zeigen, wie entsprechende Gesetze ausgestaltet sein müssten. Heute nehmen die Expertinnen auch an einer Anhörung zum Thema im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales teil.
Effizientes Arbeiten im Office
Nur ein Rechtsanspruch, „der mobile Arbeit legitimiert und normalisiert, holt mobile Arbeit aus der Grauzone der betrieblichen Arbeitsgestaltung“, analysieren Dr. Yvonne Lott, Dr. Elke Ahlers, Dr. Johanna Wenckebach und Dr. Aline Zucco. Erst wenn die Möglichkeit zum Arbeiten im Homeoffice oder von unterwegs, anders als heute oft noch, nicht mehr als „Gunst“ des Arbeitgebers angesehen wird, könnten Schattenseiten mobiler Arbeit vermieden werden. Die belasten viele Beschäftigte: Etwa erhebliche Ungleichheit beim Zugang zum Homeoffice oder unbezahlte Mehrarbeit von mobil Arbeitenden, die nicht selten glauben, sich den empfundenen „Vertrauensvorschuss“ des Arbeitgebers durch besonderen Einsatz verdienen zu müssen. Derzeit zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass mobile Arbeit und Homeoffice für Beschäftigte nicht nur Chancen, sondern auch Risiken bergen. So gaben rund 60 Prozent der befragten Beschäftigten mit Homeoffice in der aktuellen Erwerbstätigenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung an, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit würden für sie verschwimmen. Zu Hause fühlen sich Beschäftigte etwa häufiger verpflichtet, ständig erreichbar zu sein.
„Ein Rechtsanspruch auf mobile Arbeit muss nicht nur so ausgestaltet sein, dass es in der Hand der Beschäftigten liegt, diese auch in Anspruch zu nehmen, sondern auch einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen schaffen, anhand dessen im Streitfall eindeutig über Rechte oder Ansprüche entschieden werden kann“, sagt Dr. Johanna Wenckebach, Wissenschaftliche Direktorin des HSI. Folgende Aspekte müssten dabei unbedingt geklärt sein, analysieren die Forscherinnen: Mobile Arbeit müsse für die Beschäftigten immer freiwillig sein, sie sollte flexibel, also ohne lange Vorlauffristen, genommen und beendet werden können. Ein neues zwingendes Mitbestimmungsrecht zur betrieblichen Einführung und Ausgestaltung mobiler Arbeit müsse das individuelle Recht auf mobile Arbeit flankieren. Hierzu bedarf es einer Ergänzung des Betriebsverfassungsgesetzes. Der Arbeitsschutz, insbesondere die Zeiterfassung, gelte zwar selbstverständlich schon nach heutiger Rechtslage auch bei mobiler Arbeit, dies sollte jedoch gesetzlich klargestellt werden. Des Weiteren müssten Regelungen zum Datenschutz, für den Versicherungsschutz und zur Ausstattung der Arbeitsplätze sowie zur steuerlichen Absetzbarkeit mit einem Rechtsanspruch auf mobile Arbeit einhergehen.
Rechtsanspruch: Ein Rechtsanspruch würde grundsätzlich einheitliche Rahmenbedingungen für alle Beschäftigten und Unternehmen schaffen. Arbeitgeber müssten dann alle Anträge auf mobile Arbeit nach vergleichbaren, gesetzlich definierten Kriterien prüfen. Um maximale Sicherheit zu schaffen, sollten mögliche Ablehnungsgründe explizit im Gesetz genannt werden, empfehlen die Expertinnen. Zudem sei es sinnvoll, analog zur Elternzeit, für eine Ablehnung „dringende“ betriebliche Gründe zu verlangen, wenn der Wunsch nach mobiler Arbeit seinerseits auch mit dringenden Gründen unterlegt wird, also etwa akuten familiären Verpflichtungen.
Freiwilligkeit und Flexibilität: Mobile Arbeit müsse für die Beschäftigten freiwillig sein, wenn sie positiv etwa auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wirken solle. Nur Beschäftigte, „die (mit)entscheiden können, wo sie arbeiten, sind weniger gestresst, erkranken seltener an Burnout bzw. Depression, haben seltener Kündigungsabsichten und sind zufriedener im Job“, schreiben die Forscherinnen. „Abhängig Beschäftigte dürfen daher durch ihre Arbeitgeber*in nicht verpflichtet werden, sich selbst einen Arbeitsplatz zu schaffen.“ Das heißt auch: Der Präsenzarbeitsplatz im Betrieb darf nicht gestrichen werden. Zudem sollte der Rechtsanspruch flexibel gestaltet werden: Antrag und Beendigung müssten ohne langen Vorlauf möglich sein.
Mitbestimmung: Hier formulieren die Wissenschaftlerinnen zwei Anforderungen: Notwendig sei ein neues, erzwingbares Recht für Betriebsräte, bei der Einführung und Ausgestaltung mobiler Arbeit mitzubestimmen. Letzteres ist im geplanten Betriebsrätemodernisierungsgesetz vorgesehen. Zudem müssten Betriebsräten, aber auch Gewerkschaften, vom Unternehmen digitale Zugänge zu den Beschäftigten zur Verfügung gestellt werden. Das sei unverzichtbar, um Mitbestimmung und Tarifautonomie auch bei weiter Verbreitung mobiler Digitalarbeit mit Leben zu erfüllen.
Arbeitsschutz, Zeiterfassung: Arbeitsschutz und -zeiterfassung müssen auch bei mobiler Arbeit gewährleistet werden. Dazu solle gesetzlich noch einmal ganz klargestellt werden, dass die gesetzlichen Regelungen, etwa zu Ruhezeiten, auch im Homeoffice gelten. Mehr Klarheit sei auch bei den Regeln für die Praxis wichtig. Kernpunkt dabei: Arbeitgeber müssen ein objektives und zugängliches System zur Erfassung der Arbeitszeit bereitstellen, auf das Beschäftigte auch von mobilen Endgeräten aus zugreifen können.
Versicherungsschutz und Ausstattung der Arbeitsplätze: Wie es um den Versicherungsschutz steht, wenn Beschäftigten etwa aus dem Homeoffice ein Kind aus der Kita abholen, ist bisher nicht gesetzlich geregelt. Die Lücke könnte aber bald geschlossen werden, loben die Expertinnen, das Bundesarbeitsministerium bereite eine entsprechende Regelung vor. Klarstellen solle der Gesetzgeber auch, dass der Arbeitgeber die notwendige Grundausstattung für ein ergonomisch gutes mobiles Arbeiten finanzieren muss. Also zum Beispiel mobile Endgeräte, Bildschirme oder Tastatur. Schließlich sollte dauerhaft steuerlich berücksichtigt werden, wenn Beschäftigte im Homeoffice zusätzliche Kosten übernehmen, etwa für Heizung, Strom oder Büromaterial.
Datenschutz: Die Expertinnen plädieren für ein Beschäftigtendatenschutzgesetz. Das könne unter anderem die Privatsphäre von mobil arbeitenden Beschäftigten angemessen schützen und Beschäftigten, Arbeitgebern und Interessenvertretungen Sicherheit über ihre Rechte und Pflichten verschaffen.
Neben dem rechtlichen Anspruch auf mobile Arbeit müssten noch weitere Rahmenbedingungen verbessert werden, schreiben die Expertinnen. So sollte das Angebot an Kita-Plätzen unbedingt weiter ausgebaut werden. „Homeoffice darf keinesfalls ein Substitut für mangelnde institutionelle Kinderbetreuung sein.“ Um einer Entgrenzung zwischen Arbeits- und Freizeit vorzubeugen, sollten Arbeitgeber außerdem Schulungen und Weiterbildungsangebote zu agiler Arbeitsweise und selbstorganisiertem Arbeiten anbieten. Vor allem weniger technikaffine Beschäftigte dürften nicht ausgegrenzt oder abgehängt werden.
Wenn in Zukunft mehr Beschäftigte teilweise oder ausschließlich aus dem Homeoffice arbeiten, hat das laut der Forscherinnen auch abseits der Arbeitswelt positive Effekte. Durch die wegfallenden Arbeitswege verringert sich der Berufsverkehr und damit der CO2-Ausstoß. Auch die Suche nach Fachkräften könne die Arbeitsweise erleichtern. „Ortsflexibles Arbeiten kann den Arbeitsmarkt über regionale Grenzen hinweg öffnen und so den Zugang zu Fachkräften in größerer räumlicher Entfernung eröffnen“, schreiben die Forscherinnen. Wenn Umzüge verhindert werden können und lange Fahrtwege entfallen, sei eine Entscheidung für einen weit entfernten Arbeitsplatz leichter.
Eine Mischung aus Büro- und Homeofficetagen könnte in Zukunft das Arbeitsmodell vieler Menschen sein. Bisherige Studien zeigen, dass durch gut geregelte mobile Arbeit Vereinbarkeit und Arbeitszufriedenheit steigen. Ausschließliche Heimarbeit sei aber meist keine Option, betonen die Wissenschaftlerinnen. Die Forschung zeige deutlich, dass das zu „Stress und zu ´professioneller Isolation´, also zu Vereinsamung im Homeoffice führe. Untersuchungen haben außerdem ergeben, dass sich eine flexible und eigenständige Einteilung der Arbeitszeit positiv auf die Produktivität und Gesundheit von Beschäftigten auswirkt. Davon profitiere letztlich die gesamte Wirtschaft.
Yvonne Lott, Elke Ahlers, Johanna Wenckebach, Aline Zucco: Recht auf mobile Arbeit – Warum wir es brauchen, was es regeln muss (pdf). WSI Policy Brief Nr. 55, Mai 2021.
Umfangreicher Forschungsüberblick zu mobile Arbeit/Homeoffice auf unserer Themenseite: Studien zu Homeoffice und mobiler Arbeit - Hans-Böckler-Stiftung (boeckler.de)
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