12.01.2012 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: TU Berlin.
Wenn Pilger in Rom über die Via della Conciliazione strömen, die die Engelsburg mit dem Petersdom verbindet, wissen wohl die wenigsten von ihnen, dass diese Prachtstraße auf Geheiß Benito Mussolinis angelegt worden ist. Dafür ließ der faschistische Diktator 1936 in dem östlich des Peterplatzes gelegenen Stadtteil über 700 Wohnungen abreißen und etwa 5000 Einwohner umsiedeln. Auch die berühmten wie beliebten Magistralen Via del Teatro Marcello und Via dei Fori Imperiali stammen aus der Zeit des italienischen Faschismus. Und wenn Touristen die nördliche Gebäudefront der Piazza Navona bewundern oder durch die Freizeitstadt Lido di Roma (Ostia) schlendern, bestaunen sie Bauten aus Mussolinis faschistischer Ära zwischen 1922 und 1943.
Der zwischen 1938 und 1940 errichtete Palast der italienischen Kultur ist Teil des Weltausstellungsquartiers (Quartier Esposizione Universale di Roma EUR) in Rom. Das Quartier wurde nie vollendet. Heute wird der Palast als Museum genutzt. Foto: Harald Bodenschatz
Nachzulesen sind diese in Deutschland nahezu unbekannten Fakten in dem großformatigen und reich bebilderten Band „Städtebau für Mussolini. Auf der Suche nach der neuen Stadt im faschistischen Italien“, herausgegeben von Harald Bodenschatz, emeritierter Professor für Planungs- und Architektursoziologie der TU Berlin. Erschienen ist das Buch im Berliner Verlag DOM publishers.
Mit der Publikation besetzen die Autorinnen und Autoren nicht nur eine Leerstelle in der öffentlichen Diskussion zum europäischen Städtebau in Deutschland. Auch in der Forschung war der Städtebau des faschistischen Italiens hierzulande bislang kaum Gegenstand wissenschaftlichen Interesses und wenn, dann fanden die Arbeiten kaum Beachtung. „Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass im faschistischen Italien die wohl umfangreichsten und komplexesten städtebaulichen Projekte der Zwischenkriegszeit in Europa realisiert wurden“, sagt Harald Bodenschatz. Dazu gehören Vorhaben in den Kolonien wie Libyen, Äthiopien oder Albanien genauso wie die Neuen Städte, die im Zuge der Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe südöstlich von Rom entstanden sind, aber auch städtebauliche Großprojekte innerhalb und außerhalb Roms wie die weltberühmte Filmstadt Cinecittà, das Quartier Esposizione Universale di Roma (EUR), die Sportstadt (heute Foro Italico) oder die Gartenvororte Garbatella und Aniene. „Zu keiner anderen Zeit in der Geschichte Roms wurde die Ewige Stadt so umgebaut wie in der Zeit des „Duce“ – weder zuvor noch danach“, resümiert Bodenschatz.
Blick auf Sabaudia und die Palmen-Allee, die Kirche und Rathaus miteinander verbindet. Sabaudia gehört zu jenen Städten, die in den trockengelegten Pontinischen Sümpfen südöstlich von Rom neu erbaut wurden. Gegründet 1933, ist Sabaudia ein Beispiel für die Kombination von traditionellem Städtebau und moderner Architektur. Foto: Daniela Spiegel
Anliegen des Buches ist es, zum einen den faschistischen Städtebau während der Diktatur Mussolinis umfassend und systematisch zu dokumentieren. Das geschieht auch auf Grundlage zahlreicher wenig bekannter Abbildungen. Zum anderen haben es sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Ziel gesetzt, den Städtebau in der Zeit des faschistischen Regimes hinsichtlich eines differenzierten Verständnisses des Zusammenhangs von Diktatur und Städtebau neu zu interpretieren. Es geht um die Frage, wie die städtebaulichen Zeugnisse zu bewerten sind – jenseits einer aus dem politischen Kontext herausgelösten bloßen Betrachtung des einzelnen Bauwerkes und seiner architektonischen Form, aber auch jenseits einer ideologisch begründeten Abwertung. „Der italienische Städtebau verarbeitete europäische Städtebaukultur seiner Zeit auf eine spezifische Art und Weise, seine Produkte müssen im Kontext des europäischen Städtebaus diskutiert und bewertet werden. Da helfen die üblichen Kritikmuster und Verteufelungen, die in der Nachkriegszeit entwickelt wurden – der Verweis auf Achsen und Symmetrien, auf steinerne Baumaterialien und Monumentalität, auf diktatorischen Größenwahn und Einschüchterung der Massen –, ebenso wenig wie eine unkritische Rehabilitierung formal spektakulärer Leistungen und Einzelbauten“, schreibt Harald Bodenschatz. Diese Sicht führt die Autoren zu so interessanten wie brisanten Fragen, was demokratischer Städtebau ist und was seine Qualitäten sind, die ihn vom diktatorischen Städtebau abgrenzen.
Harald Bodenschatz (Hg.), Städtebau für Mussolini. Auf der Suche nach der neuen Stadt im faschistischen Italien, Harald Bodenschatz und Daniela Spiegel mit Beiträgen von Uwe Altrock, Lorenz Kirchner und Ursula von Petz, 520 Seiten, 630 Abbildungen, ISBN 978-3-86922-186-1, 98 Euro
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