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Bauwende unterwegs: Umbau vom Gefängnis zum Hotel

09.01.2024  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Rat für nachhaltige Entwicklung.

Ein Frauengefängnis in Berlin-Charlottenburg, in dem während der NS-Zeit Widerstandskämpferinnen inhaftiert waren, ist umgebaut worden. Entstanden ist ein Hotel mit Restaurant und Bar. Taugt das als Beispiel, wie sich altes neu nutzen lässt?

Wäre ein Museum vielleicht angemessener? Oder auch der Abriss? In Berlin hat die Architektin Almut Grüntuch-Ernst zusammen mit ihrem Mann Armand Grüntuch ein mehrere Jahre lang unzugängliches denkmalgeschütztes Gebäudeensemble im Berliner Stadtteil Charlottenburg umgebaut. Es sei ein „beklemmender düsterer Ort“ an der Kantstraße, Nummer 79 gewesen. Sie hätten sich „nicht spontan in ihn verliebt“, sagt Almut Grüntuch-Ernst. Dann fragten sie sich, wie man diesen Ort des Schreckens in einen Ort der Freiheit verwandeln könne. Ein Ort, aus dem früher alle nur eins wollten: raus.

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Der Ort: ein 1896 erbautes Strafgericht, im Hinterhof ein Frauengefängnis aus rotem Backstein. Im Zweiten Weltkrieg waren dort unter anderem Frauen inhaftiert, die gegen das NS-Regime gekämpft haben, dann entdeckt, verraten, zum Tode verurteilt und später in Plötzensee hingerichtet wurden. Bis 1985 wurde das Gefängnis noch genutzt, dann stand es leer. Das Architektenpaar hat es zu einem freundlich wirkenden Hotel, das Wilmina – wie Architekt*innen sagen „umprogrammiert“ – mit 44 Zimmern im einstigen Zellentrakt, Billiardtisch, Sauna und Dachterrasse. Zudem gibt es dort jetzt das edle Restaurant Lovis, auch eine Bar. Und im Vorderhaus, in dem einstigen Gericht, ist mit dem „Amtssalon“ ein Raum für Ausstellungen und Veranstaltungen entstanden.

Es ist nicht das einzige Hotel, das aus einem ehemaligen Gefängnis entstanden ist. Das gibt es hier und da auch schon andernorts. Einzigartig ist das Wilmina aber schon, ausgezeichnet als hervorragendes Beispiel für die Nachverdichtung im Bestand mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur. Das Gebäude hat einen minimalen CO2-Fußabdruck, Flächen wurden entsiegelt und renaturiert. Darum ist es im Dezember 2023 auch die sechste und letzte Station der Reihe „Bauwende unterwegs“.

Frage der Ästhetik

n dieser Reihe hat der Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE), zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) über ein Jahr lang immer wieder Interessierte aus Politik, Praxis, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bundesweit eingeladen, Projekte zu besichtigen, die laut Jan Korte aus der RNE-Geschäftsstelle „state of the art der Nachhaltigkeit 2023“ sind. Sie zeigen, wie sich klima- und ressourcenschonender bauen und umbauen lässt – mit neuen und recycelten Materialien und mit neuen Ideen zur Nutzung bestehender Gebäude. Es gehe darum, auch die „ästhetische Qualität des nachhaltigen Bauens zu entdecken und es so in die Breite“ zu bringen“, erklärte DGNB-Präsident Prof. Amandus Samsøe Sattler. Denn: „Was man sieht, das merkt man sich“, sagte er.

Die „Bauwende unterwegs“ ist für viele vor allem ein Erfahrungsaustausch – auch in der Berliner Kantstraße. 2024 wird zum Beispiel das Rennelberg-Gefängnis in Braunschweig geschlossen, seit 1885 ist es genutzt worden. Wie umgehen mit der Geschichte, mit einer Erinnerungskultur, fragte darum einer, der aus der niedersächsischen Stadt angereist war. „Die Nutzung muss für jedes Gebäude einzeln überlegt werden“, sagte Samsøe Sattler. Vertreter von Hotelketten hätten auf einen „Gruselfaktor“ setzen wollen, erzählt Almut Grüntuch Ernst. Sie und ihr Mann nicht. Darum betreiben sie mit ihren Kindern das Haus nun selbst, neben ihrem Architekturbüro Grüntuch Ernst Architekten. Sie gingen behutsam vor.

2011 ersteigerten Grüntuch Ernst das Ensemble. Sie befassten sich mit dem Leben im Gefängnis. Die Schriftstellerin Ulrike Edschmid zum Beispiel war dort in den 1970er Jahren ein paar Tage inhaftiert. Sie sei in die Zelle gekommen sei, so schilderte sie später, habe nicht einmal die Arme ausstrecken, auch nicht rausgucken können. Die Zellen waren eng, die Fenster nur schmale hohe Lichtöffnungen.

Maximaler Substanzerhalt

Das Architektenpaar legte Zellen zusammen, richtete die Zimmer hell und modern ein, beließ aber Zellentüren. Grüntuch Ernst Architekten vergrößerten die Lichtöffnungen zu echten Fenstern, versetzten die Fensterbänke aus Stein und erhielten die alten Gitter, die nun nur noch den oberen Teil der Fenster bedecken. Sie nahmen tragende Wände heraus, auch eine Treppe für einen Fahrstuhl, schafften einen barrierefreien Eingang. Die alten Steine verwendeten sie für einen Bau, der nun Gericht und Gefängnis, also Vorder- und Hinterhaus verbindet. Auf das Dach wurde ein neues Geschoss gesetzt.

Almut Grüntuch-Ernst und Armand Grüntuch haben mit so wenig baulichen Eingriffen und dem größtmöglichen Erhalt an Substanz aus dem düsteren Ort der Vergangenheit einen einladenden Ort gemacht. Sie hängten dazu auch die Netze ab, die im Flurtrakt über jedem der einst vier Stockwerke hingen, um die Häftlinge vom Suizid abzuhalten. Sie entwarfen ein gläsernes Dach, so dass Licht einfallen kann, arbeiteten mit Lichtinstallateuren zusammen, die von den Decken dutzende Lampen in Bündeln leuchten lassen. Und sie entsiegelten massiv, bepflanzten den ehemals asphaltierten Hof üppig, lassen die Fassadenbegrünung wuchern. Und sie ließen eine Zelle unverändert, sammeln dort Dokumente zur Geschichte des Hauses, die auch Besucher*innen anschauen können. Das Architektenpaar hat sich entschieden: Für sie scheint es am besten, einen historisch stark belasteten Ort wieder ins Alltagsleben zu integrieren und zugleich als Erinnerungsort zu erhalten.

Bild: Josh Olalde (Unsplash, Unsplash Lizenz)

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