15.07.2019 — Jasmin Dahler. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Der Duden definiert einen Shitstorm als „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht.“ Der Begriff bezieht sich insbesondere auf Blogbeiträge oder -kommentare oder Posts auf Social Media Kanälen.
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In Deutschland wird der Shitstorm ausschließlich als Internetphänomen gehandhabt, während in der englischen Sprache allgemein eine unangenehme Situation diese Bezeichnung erhält.
Ziele der Shitstorm-Auslöser sind sowohl das Aufdecken von Missständen und das Bloßstellen fraglichen und falschen Verhaltens als auch die Möglichkeit, ungehemmt Frust und Wut abzubauen. Ebenso lässt sich ein gewisses Machtstreben in manchen Shitstorms erkennen, wenn gemeinsam Druck gegen einen übermächtigen Gegner ausgeübt wird.
Ähnlich wie ein Sturm dauert der Shitstorm meist nur kurz, dafür aber umso heftiger an. Im Durchschnitt ebben die Entrüstungen oft schon nach einer Woche wieder merklich ab, wenn kein Öl ins Feuer gegossen wird.
Vor Shitstorms ist niemand sicher – das mussten über die Jahre beispielsweise diese Unternehmen erfahren.
2004, Dell: Shitstorm wegen Kundenservice
Bereits 2004 handelte sich Dell den ersten bekannten Shitstorm ein. Der Journalist Jeff Jarvis schrieb seinen Frust über den Kundenservice und die Produkte von Dell nieder. Fälschlicherweise belächelte Dell den Journalisten und ignorierte den kleinen Blogbeitrag. Doch Jeff Jarvis war nicht allein. Viele Kunden fühlten mit ihm und die Sache ging viral, bis die Geschichte schließlich die Massenmedien erreichte. Dell musste mit einem Rückgang der Verkäufe, sinkenden Aktienkursen und einem Wechsel der Unternehmensführung leben.
2010, Nestlé: Shitstorm wegen KitKats
Anfang 2010 berichtete die Umweltorganisation Greenpeace, dass bei der Palmöl-Produktion für Nestlés KitKat die Lebensräume von Orang-Utans zerstört werden. Greenpeace produzierte ein abschreckendes Video, in dem ein Büroangestellter einen KitKat, der sich als abgehackter Orang-Utan-Finger herausstellte, verzehrt. Nestlé äußerte sich zu den Anschuldigungen nicht, stattdessen verboten die Administratoren der KitKat-Facebookseite die Verwendung von verfremdeten KitKat-Logos. Kritik darüber ließ Nestlé nicht gelten: „Es ist unsere Seite. Wir machen die Regeln. So wars immer“. Das verlieh dem Shitstorm erst richtig Kraft: Bereits nach kurzer Zeit stellten sich die Fans gegen Nestlé und begannen Bilder und Videos mit blutverschmierten KitKat-Logos hochzuladen. Nestlé schaltete daraufhin die Fansite einfach ab.
2011, o2: Shitstorm wegen Empfangsproblemen
2011 rutschte auch o2 auf einem selbst angerichteten Shitstorm aus. Nachdem das Telekommunikationsunternehmen die Empfangsprobleme eines Kunden als Einzelfall bezeichnet hatte, ging dieser mit der Seite „wir-sind-einzelfall.de” online. Sehr schnell fanden sich weitere Kunden von o2, welche ebenfalls unter den Empfangsproblemen litten und diese öffentlich machten. Der Mobilfunknetzanbieter hatte keine andere Wahl mehr und musste den Kunden versichern, sein Netz auszubauen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Telekom die Einzelfall-Website bereits dafür genutzt, um für sich zu werben.
2019, Disney: Shitstorm wegen Spider-Man-Grabstein
Erst diesen Monat verursachte Disney einen Shitstorm. Im Dezember 2018, kurz vor Weihnachten, verlor der Engländer Lloyd Jones seinen vierjährigen Sohn durch die Krankheit Leukodystrophie. Sein Sohn war ein großer Fan von Spider-Man gewesen, deshalb wollte die Familie gerne einen speziell gestalteten Spider-Man-Grabstein verwenden. Die Familie wollte etwas an dem Grab vorfinden, was sie wirklich an ihren Sohn erinnerte. Doch dafür brauchten sie die Genehmigung von Disney.
Der Konzern war lange weder telefonisch noch schriftlich erreichbar. Selbst als BBC nachfragte, kam keine Antwort von Disney. Erst Anfang Juli kam eine Antwort und diese war für die Familie ernüchternd: Nach einer Richtlinie, die mit Walt Disney persönlich begann, gibt es ein Verbot für die Verwendung von Charakteren auf Grabsteinen, Friedhöfen, Urnen oder Gedenkstätten. Auf Facebook machte der Vater seinem Frust Luft und erhielt Rückenwind von der Netzgemeinde. Es folgten wütende Kommentare, kritische Memes und eine Petition. Disney hingegen schweigt wieder.
Doch ein Shitstorm kann auch einzelne Personen treffen, wie die folgenden Beispiele zeigen.
2019, Tanya Gold: Shitstorm wegen Äußerungen über Plus-Size-Puppe
Seit diesem Jahr steht im Nike-Flagship-Store in London eine Plus-Size-Puppe, um die Diversität und Inklusivität im Sport zu feiern. Nike erhielt sehr viel positive Kritik für diesen Schritt. Da ist es kein Wunder, dass die Telegraph-Journalistin Tanya Gold sich in die Nesseln setzte, als sie behauptete, dass Nike damit Fettleibigkeit und Übergewicht fördere. Ihr Kommentar wird sogar noch kritischer, als Gold schreibt, dass die Figur aussehe, als ob sie bald Diabetes bekomme und eine Hüftoperation benötige. Auf Twitter hagelte es nach Golds Äußerung massive Kritik.
2013, Justine Sacco: Shitstorm wegen AIDS-Äußerungen
Dass solche Shitstorms auch den Beruf gefährden können, zeigte sich 2013 bei der PR-Directorin Justine Sacco. Sie twitterte vor einem Flug von London nach Afrika: „Ich bin auf dem Weg nach Afrika. Hoffentlich bekomme ich kein AIDS. Ich mach nur Spaß. Ich bin weiß.“ Unter dem Hashtag #hasJustineLandedYet tobte auf Twitter ein gewaltiger Shitstorm. Saccos Arbeitgeber distanzierte sich sofort von der Äußerung und feuerte Sacco kurze Zeit später. Während ihr Arbeitgeber versuchte, gegen die Flut an aufgebrachten Kommentaren anzukommen, war Sacco den ganzen Flug über nicht erreichbar. Kurz nach der Landung wurden sowohl ihr Facebook- als auch ihr Twitter-Account gelöscht.
2019, Julia Klöckner: Shitstorm wegen Nestlé-Video
Auch Politiker kann ein Shitstorm treffen. So wurde Julia Klöckner für ein Video mit dem neuen Deutschland-Chef des Lebensmittelkonzerns Nestlé scharf kritisiert. Bei Twitter beklagten zahlreiche Nutzer, Klöckner lasse sich von Nestlé für PR-Zwecke ausnutzen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf der Ministerin vor, sie habe ein „Werbevideo“ für Nestlé gedreht, der SPD-Bundestagabgeordnete Karl Lauterbach bezeichnete den Vorgang als „peinlich, ja bitter“. Klöckner postet eine plumpe Antwort, die weiteres Öl ins Feuer gießt:
An die Hatespeaker, weil ich mit Nestlé gesprochen habe: Mal eigene Forderungen #Zuckerreduktion nachlesen! Dass Unternehmen unsere Zielen für bessere Nahrungsmittel umsetzen, ist ein Erfolg. Erst unterstellen, dass nichts geschieht. Dann durchdrehen, wenn man was erreicht 🙄
— Julia Klöckner (@JuliaKloeckner) June 4, 2019
Natürlich ist die beste Strategie gegen einen Shitstorm, nicht in einen zu geraten. Wer ehrlich und wertschätzend mit seinen Kunden und Followern kommuniziert sowie Zusagen und Ankündigungen einhält, der minimiert bereits die Gefahr, vom Sturm erfasst zu werden.
Diese Haltung sollte auch beibehalten werden, wenn es doch zu einem Shitstorm kommt. Denn: Fehler passieren und Kritik wird es immer geben. Diese sachlich anzunehmen und offen zu kommunizieren, was schiefgegangen ist, wie nun damit umgegangen werden soll und wie das Problem gelöst wird, glätten von vornherein die Wogen.
Genau diese Punkte wurden bei den oben genannten Shitstorms missachtet. Kunden nicht ernstzunehmen und Fehler nicht einzusehen, stattdessen Kritik harsch abblocken oder gar nicht zu reagieren, öffnen immer heftigerem Ärger und Kritik Tür und Tor. Dazu kommt, dass die Netzgemeinde immer geübter darin wird, ihren Unmut gebündelt kundzutun. Da müssen die Betroffenen erst einmal mithalten und vor allem ruhig und sachlich bleiben.
Apropos ruhig und sachlich: Wenn wie im Falle von Disney und Spider-Man Emotionen hochkochen bzw. verletzt werden, wird ein Shitstorm nur umso heftiger ausfallen. Es dazu nicht kommen zu lassen, sondern Emotionen zu besänftigen, muss oberstes Ziel beim Eindämmen von Shitstorms sein.
Das alles gilt in ähnlicher Form natürlich auch für Einzelpersonen. Dass bei einem rassistischen oder beleidigenden Kommentar das Internet an die Decke geht, ist wohl kein Geheimnis, selbst wenn diese aus Sicht der Verfasser lustig gemeint sind. Ähnliches musste Rewe erleben, als sie Werbung für die neue Tex-Mex-Pizza auf Twitter posteten: „Mexikanern beim Aufwärmen zugucken? Geht auch in deinem Backofen.“ Selbiges gilt für sexistische Werbung. Witze, die sich während der Mittagspause in einem kleinen Team vielleicht noch amüsant anhören, sind nicht immer für öffentliche Werbung oder einen Post geeignet.
Auch Frau Klöckner beging den fatalen Fehler, zwar auf die Kommentare zu reagieren, aber alle negativen Kommentare gleich als Hater abzustempeln. Sie begab sich in eine Angriffshaltung und war nicht bereit, eine Fehleranalyse ihrerseits zu starten. Viele Personen kritisieren Nestlé bereits seit langem und insbesondere kurz nach dem Rezo-Video, welches sehr deutlich gemacht hat, dass vielen Personen die Umwelt wichtig ist, war die Kritik zu erwarten.
Daher ist es nicht nur wichtig aufmerksam zuzuhören, sondern auch das Problem zu erkennen. Wer sich rechtfertigt, sich verteidigt, angreift oder ignoriert zieht sich die Schlinge um den Hals nur selber enger. Wer kurz und objektiv das Problem zusammenfassen kann, nicht Drumherum redet und in der Lage ist, Fehler offen und ehrlich zuzugeben, der signalisiert „Wir hören euch! Ihr seid uns wichtig! Wir kümmern uns!“
Quellen und Hintergründe:
Bild: Pixabay (Pexels, Pexels Lizenz)