11.12.2024 — Michelle Bittroff. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Für die Borkumerinnen und Borkumer ist der 5. Dezember mehr als ein Datum – es ist „Klaasohm“, der „hoogste Fierdag“, oder auch übersetzt der höchste Feiertag. Die Tradition reicht Jahrhunderte zurück und symbolisiert Zusammenhalt, Inselstolz und Erhalt der kulturellen Identität, wie es in einem Bericht der Stadt Borkum heißt.
Sechs maskierte Männer, die sogenannten Klaasohms, verkleidet mit schweren Masken, Vogelfedern und Schafsfellen, ziehen in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember durch die Straßen, besuchen Häuser und verteilen Honigkuchen. Zuvor hatte das Schlagen von Frauen mit Kuhhörnern durch die sogenannten Klaasohms zur Tradition dazugehört. Der Ursprung dieses Brauchs wird unterschiedlich interpretiert: Es vereint Elemente des Nikolausfestes und des germanischen Wodankults. Eine Theorie besagt, dass das frauenfeindliche Element aus der Ära des Walfangs stammt, als Männer nach monatelanger Abwesenheit die Insel „zurückeroberten“. Die Frauen sollten sich den zurückgekehrten Männern erneut unterordnen, was diese symbolisch durch einen Schlag auf das Gesäß deutlich machten.
Doch nach einem aktuellen Bericht des ARD-Magazins „Panorama“ rückte diese Tradition und das Klaasohm-Fest ins Zentrum der Kritik.
Die Ausstrahlung des ARD-Magazins zeigte Videos vom Klaasohm-Fest und wie Frauen im Rahmen des Festes mit Kuhhörnern auf das Gesäß geschlagen wurden. Die Reaktionen waren seitdem heftig: In den sozialen Medien und in den Nachrichten hagelte es Kritik, Beschimpfungen und Drohungen, Aktivistinnen und Aktivisten forderten ein Ende des Festes, Kritikerinnen und Kritiker prangerten den Brauch als frauenfeindlich und gewalttätig an.
Der Verein „Borkumer Jungens“, der das Fest organisiert, sah sich gezwungen, Stellung zu beziehen: Oldermann Maxi Rau erklärte öffentlich, dass Gewalt gegen Frauen ab sofort nicht mehr toleriert werde. Persönlich entschuldigte er sich für seine eigene in der Vergangenheit liegende Teilnahme an dem Brauch und versprach, dass das Schlagen mit Kuhhörnern endgültig der Vergangenheit angehören solle.
Auch die Stadtverwaltung positionierte sich klar: Sie richtete eine Notfall-Hotline und Schutzräume ein, um Frauen bei unangenehmen oder gefährlichen Situationen Unterstützung zu bieten. Bürgermeister Jürgen Akkermann räumte zudem ein, dass es in früheren Jahren ein Wegsehen bei Gewalt gegen Frauen gegeben habe: „Wir müssen uns den Vorwurf gefallen lassen, in der Vergangenheit nicht entschieden genug gehandelt zu haben“, gestand er.
Die Ereignisse haben Borkum in den vergangenen Wochen vor eine große Herausforderung gestellt: Wie kann eine jahrhundertealte Tradition bewahrt werden, ohne grundlegende gesellschaftliche Werte zu verletzen?
Aus diesem Grund wurde in diesem Jahr auf das Schlagen der Frauen mit Kuhhörnern verzichtet, wie u. a. ein Bericht des NDR zusammenfasst. Das eigentliche Fest fand am 5. Dezember dennoch statt und verlief friedlich. Die Polizei war zahlreich anwesend und obwohl die vorherigen Ereignisse ihre Spuren hinterließen, blieb die Stimmung trotz des zuvor regen Shitstorms ausgelassen.
Die Diskussionen rund um das Klaasohm-Fest haben nicht nur kulturelle und soziale, sondern auch wirtschaftliche Spuren hinterlassen. Als Tourismusinsel ist Borkum stark von den Einnahmen der Gäste abhängig, und erste Auswirkungen des Skandals zeigten sich bereits: Einige Hoteliers berichteten von Stornierungen, vor allem durch Gäste, die von den negativen Schlagzeilen abgeschreckt wurden. Gleichzeitig zog die Debatte paradoxerweise auch Neugierige und Aktivistinnen und Aktivisten an.
Für viele Insulanerinnen und Insulaner bleibt die Zukunft des Festes ein sensibles Thema. Doch die Bedeutung von Klaasohm als identitätsstiftender Teil der Gemeinschaft steht für die meisten außer Frage. Bürgermeister Jürgen Akkermann und der Verein „Borkumer Jungens“ haben wiederholt betont, dass das Fest eine grundlegende Überarbeitung erfahren muss, um sich an moderne Werte wie Gewaltfreiheit und Respekt anzupassen – ohne dabei seinen Kern zu verlieren.
Die Bewohnerinnen und Bewohner hoffen nun auf einen Neuanfang: ohne Gewalt, aber mit dem Geist von Klaasohm. Und wenn das Fest vergangene Woche eines gezeigt hat, dann dass der „hoogste Fierdag“ nicht so schnell seinen Platz im Herzen der Borkumerinnen und Borkumer verlieren wird.
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